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zwischen pädagogischen Konzepten und den an bürokratischen<br />

Normen orientierten Leitungsstrukturen. Den bis in die Gegenwart<br />

überdauernden Heimen in freier Trägerschaft gelang demgegenüber<br />

eine kontinuierliche Weiterentwicklung zu modernen<br />

Kinder- und Jugendhilfezentren mit einem breiten, an den<br />

individuellen Bedürfnissen von Kindern, Jugendlichen und ihren<br />

Familien orientiertem Angebot.<br />

Während des gesamten Zeitraums wurde von den Behörden<br />

und Ämtern auch eine Vielzahl auswärtiger Einrichtungen<br />

sowohl für Kinder als auch für Jugendliche belegt. Besonders<br />

gefragt waren noch bis in die 1960er Jahre hinein geschlossene<br />

Erziehungsheime für jugendliche Mädchen und Jungen und<br />

große Anstalten mit einem breiten Angebot an Beschulungsund<br />

Beschäftigungsmöglichkeiten. Auch diese Einrichtungen<br />

gingen entweder unter oder entwickelten sich zu komplexen<br />

Jugendhilfezentren. Im Berichtszeitraum dieser Dokumentation<br />

waren sie für die untergebrachten Kinder und Jugendlichen<br />

zumeist Orte der Demütigung, Erniedrigung und Isolation. 443<br />

5.2.3 Die Erfahrungen und Erlebnisse<br />

ehemaliger Heimkinder<br />

Nur wenige der ehemaligen Heimzöglinge, die ausführlicher<br />

über ihre Erfahrungen mit der bremischen Jugendhilfe und ihr<br />

Leben berichteten, schilderten ihre Zeit in der öffentlichen<br />

Erziehung als ihren Bedürfnissen angemessen, ihr Leben bereichernd<br />

und in geordnete Bahnen führend. Bei denen dies vorkam,<br />

hatte es mehr Kontinuität im Leben gegeben, oder sie<br />

hatten das Glück gehabt, in einem der wenigen kleinen, am<br />

Schicksal des einzelnen Kindes interessierten, Heime zu leben.<br />

Die große Mehrheit berichtete aber, variierend nach Zeit und<br />

Ort der Unterbringung und dem, was sie vor Beginn der ersten<br />

Jugendhilfemaßnahme erlebt hatte, zumindest befremdliche,<br />

zumeist empörende und zum Teil schreckliche Erfahrungen.<br />

Manche von ihnen wurden von überforderten oder verzweifelten<br />

Müttern zurückgelassen, oder sie gerieten nach Elternverlust<br />

durch Krankheit oder Tod in die öffentliche Erziehung.<br />

Andere nahm man, weil die Eltern sie vernachlässigten oder sie<br />

Sucht und Gewalt in der eigenen Familie ausgesetzt waren, aus<br />

den Familien, um sie vor Schlimmerem zu bewahren. Das galt<br />

auch für ältere Kinder und Jugendliche, die sich in oft hilflosen<br />

Versuchen aus dem Umfeld sie nicht liebender Eltern zu<br />

befreien versucht hatten. Was sie dann aber häufig erlebten,<br />

vervielfachte eher das Leid, als dass es ihr Leben verbesserte. In<br />

den Säuglingsheimen erlitten viele Heimkinder andauernde,<br />

zum Teil irreparable Schädigungen (Hospitalismus). In den Waisen-<br />

und Kinderheimen innerhalb und außerhalb Bremens – die<br />

stadtbremischen Kinderwohnheime und das St. Petri Waisenhaus<br />

bildeten wiederum eine Ausnahme – wurden sie manchmal<br />

noch 15 bis 20 Jahre nach Kriegsende ihrer Herkunft wegen<br />

diffamiert, von den anderen Kindern abgeschottet, schulisch<br />

nur unzureichend gefördert, bloßgestellt, weil sie Bettnässer<br />

waren, zum Essen und Wiederessen von Erbrochenem gezwungen,<br />

zur Besinnung in den Keller geschickt und nicht selten auch<br />

geschlagen. Es gab, auch in bremischen Heimen, das ganze Disziplinierungsprogramm<br />

der »Schwarzen Pädagogik«. Dazu<br />

gehörten Sexualunterdrückung und zum Teil auch sexuelle Übergriffe<br />

bis hin zu massiver sexueller Gewalt durch Erziehende.<br />

Hinzu traten religiöse Indoktrination, eine die Kinder und jugendlichen<br />

überfordernde Beanspruchung für häusliche und außerhäusliche<br />

Betätigungen und externe Arbeitseinsätze. Feste,<br />

Ausflüge und Ferienreisen konnten die allgemeine Trostlosigkeit<br />

manchmal für kurze Zeit vergessen lassen, aber nie überwinden.<br />

Viele Kinder erlebten abrupte Beziehungsabbrüche,<br />

fortgesetzte Bindungslosigkeit, mehrfache Heimwechsel, unvorbereitete<br />

Wechsel in und Abbrüche aus Pflegefamilien, die<br />

zumeist ebenfalls nicht mehr als die Heime boten. Dass früh in<br />

ihrem Leben vermittelte Kinder vier bis acht Wechsel des<br />

Lebensortes durchliefen, bildete keine Ausnahme.<br />

In den Erziehungsheimen und den Fürsorgeerziehungsheimen<br />

waren Zurichtung und Arbeitsausbeutung, Einsperren und militärischer<br />

Drill bereits Programm. »Aus Euch werden ohnehin alles<br />

Prostituierte«, sagte man den Mädchen, und »Aus Euch werden<br />

sowieso Verbrecher« den Jungen. Das häufige Weglaufen der<br />

Jugendlichen wurde nach dem erneuten Aufgreifen mit demütigenden<br />

Prozeduren, der Arrestzelle oder harten Strafen<br />

geahndet. Zöglinge und Erzieher/innen standen sich zumeist als<br />

feindliche Gruppen gegenüber. Die allgemeinen hierarchischen<br />

Strukturen begünstigten oder förderten zudem Mechanismen<br />

wechselseitiger Unterdrückung und Ausbeutung der<br />

Jugendlichen untereinander. Dinge, von denen die Kinder oder<br />

Jugendlichen vorher noch nicht einmal gehört hatten, wurden<br />

in den Heimen zu geläufigen Verhaltensmustern. Die Behörden<br />

schwiegen zu alledem, auch, weil sie kaum einmal den Kontakt<br />

zu den Kindern und Jugendlichen selbst suchten.<br />

Die Mehrheit der Ehemaligen, unabhängig davon, ob sie lange<br />

in einem oder mehreren Kinderheimen und Pflegefamilien oder<br />

für wenige Jahre in einem Fürsorgeerziehungsheim gelebt hatten,<br />

tat sich zudem schwer damit, nach der Entlassung aus der<br />

öffentlichen Erziehung Fuß zu fassen. Sie waren auf ein selbständiges<br />

Leben nicht vorbereitet. Sie hatten, bei häufig unterbrochener<br />

und zumeist geringer Schulbildung, nichts oder zu<br />

wenig für einen zukunftsfähigen Beruf gelernt. Teilweise traumatisiert,<br />

mangelte es ihnen zudem häufig an der Fähigkeit,<br />

anderen Personen, also auch potentiellen Partnerinnen und<br />

Partnern, zu trauen und langfristige sowie emotional befriedigende<br />

Beziehungen aufzubauen. Einige erholten sich von dem,<br />

was ihnen erst in der eigenen Familie und dann durch die<br />

Jugendhilfe angetan wurde, daher nie oder nicht vollständig.<br />

Der Mehrheit der kontaktierten Gesprächspersonen, was nichts<br />

über das Schicksal aller Ehemaligen aussagt, gelang es nach<br />

eigenen Aussagen langfristig jedoch, sich über Umwege und<br />

Irrwege beruflich und persönlich zu stabilisieren und, wenn<br />

manchmal auch erst nach Jahrzehnten, zu sich zu finden.<br />

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