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Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath

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Forschungsförderung im Nationalsozialismus 121<br />

die als „Juden“ 23 stigmatisierten Wissenschaftler <strong>und</strong> Wissenschaftlerinnen Repressionen<br />

auf unterschiedlichen Ebenen ausgesetzt waren: Durch die politisch aktiven<br />

Nationalsozialisten, durch die indifferenten oder anpassungsbereiten Kollegen oder<br />

durch die Hochschulbürokratie. Diese Maßnahmen führten zumindest zum Verlust<br />

des universitären Arbeitsplatzes, oft genug auch zur anschließenden Emigration aus<br />

Deutschland oder aber zu Inhaftierung, psychischer <strong>und</strong> physischer Folter bis zur<br />

Ermordung. Nach neuesten Studien waren es insgesamt r<strong>und</strong> 18,6 Prozent des damaligen<br />

universitären Lehrkörpers, die der rassistischen <strong>und</strong> politischen Vertreibung<br />

nach 1933 zum Opfer fielen. 24<br />

Aus der deutschen Binnenperspektive betrachtet verschärfte dieser selbst produzierte<br />

wissenschaftliche Exodus auch in den medizinischen Fächern den Druck zu<br />

einer rationelleren Organisation der Forschung im NS-Staat. Mit dem im Jahr 1936<br />

anlaufenden DFG-Krebsforschungsprogramm wurde ein neues, modernes Modell<br />

von Forschungsförderung eingeführt, das einerseits die begrenzten Ressourcen gezielt<br />

themenorientiert bündelte, indem in der Krebsforschung tätige Wissenschaftler<br />

direkt auf eine mögliche Mitarbeit in dem Programm angesprochen wurden. Die<br />

Schwerpunktlegung diente der Kompensation des entstandenen Verlustes an wissenschaftlicher<br />

Kapazität, schuf zugleich aber auch neue Anreize für Forscher, sich mit<br />

dem Krebsgebiet zu befassen <strong>und</strong> in der Folge mit eigenen Projektanträgen zu bewerben.<br />

(Mehrjährige gesicherte Forschungsstipendien stellten dabei ein gutes Argument<br />

dar.) Diese Form von ‚Schwerpunkt‘-Programm trug nur insoweit Anzeichen<br />

einer inhaltlichen „Forschungslenkung“, als etwa ein Viertel des gesamten<br />

DFG-Medizinetats in Höhe von jährlich 200.000 bis 300.000 Reichsmark konstant<br />

<strong>und</strong> längerfristig für Krebsforschungen bereitgestellt wurde.<br />

Das Auffallendste an den medizinischen Projektthemen war ihre wissenschaftlich<br />

unauffällige Formulierung, 25 d. h., in den allermeisten Fällen waren weder die<br />

Projektanlage noch die Themenformulierung offen durch politisch-ideologische Nähe<br />

zum Nationalsozialismus beeinflusst. Das mag der ‚Politikferne‘ von Laborforschungen<br />

generell geschuldet sein, denn um diese handelte es sich zu einem hohen<br />

Prozentsatz bei der experimentellen Krebsforschung. Allerdings muss man wohl<br />

23 Da sich diese begriffliche Kennzeichnung keineswegs an dem individuellen, religiös-kulturellen<br />

Selbstverständnis orientierte, sondern dem nationalsozialistischen Rassebegriff folgte, erhielt sie<br />

stigmatisierenden Charakter. Zur Medizinerschaft vergleiche John A. S. Grenville, Juden, „Nichtarier“<br />

<strong>und</strong> „Deutsche Ärzte“. Die Anpassung der Ärzte im Dritten Reich, in: Ursula Büttner<br />

(Hrsg.), Die Deutschen <strong>und</strong> die Judenverfolgung im Dritten Reich. Frankfurt/Main 2003, 228-246.<br />

24 Michael Grüttner/Sven Kinas, Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten<br />

1933-1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55, 2007, H. 1, 123-186.<br />

25 Dagegen umschrieb die harmlose Themenformulierung „Untersuchungen über Ersatzmaßnahmen<br />

über Fußbekleidung, im besonderen die Verwendung von Holzsohlen“, für die der Breslauer<br />

Professor Dr. Adolf Basler langjährig Gelder des Reichsforschungsrates erhielt, eine Forschungsarbeit,<br />

die an Insassen des KZ Sachsenhausen durchgeführt wurde. Die sog. „Schuhprüfstrecke“<br />

war berüchtigt <strong>und</strong> die Abkommandierung dorthin bedeutete wegen der vielfach auftretenden offenen<br />

W<strong>und</strong>en Infektionen <strong>und</strong> Gewebeentzündungen <strong>und</strong> damit für die Versuchspersonen oftmals<br />

sogar das Todesurteil (vgl. hierzu Anne Sudrow, <strong>Der</strong> Schuh im Nationalsozialismus. Göttingen<br />

2010).

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