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Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath

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236<br />

Kathleen Haack, Ekkehardt Kumbier<br />

menschliches Leben auf einen einzigen Aspekt reduzierende Kosten-Nutzen-Strategie“<br />

25 handelte.<br />

Es soll im Folgenden jedoch nicht um eine systematische Analyse im Sinne eines<br />

kollektiv-biografischen Ansatzes gehen, wie etwa bei dem Heidelberger Forschungsprojekt.<br />

26 Dazu ist die Anzahl von 46 Patienten zum einen zu gering, zum<br />

anderen sind von diesen nicht mehr alle Krankenakten vorhanden, was die Information<br />

zusätzlich einschränkt. Eine solche systematische Untersuchung sollte künftig<br />

alle Mecklenburger Patienten, von denen bekannt ist, dass sie im Rahmen der „Aktion<br />

T4“ getötet worden sind, einschließen, um den Aussagewert zu erhöhen.<br />

Für die bisher namentlich bekannten 46 Rostocker Patienten lässt sich Folgendes<br />

feststellen: Die meisten, nämlich 33 <strong>und</strong> damit beinahe ¾ von ihnen, litten an einer<br />

Schizophrenie. Bei sieben Patienten wurde „Schwachsinn“ diagnostiziert, fünf waren<br />

an progressiver Paralyse erkrankt, einer an genuiner Epilepsie. Neben der Diagnose<br />

der Patienten war ein besonders wichtiges Selektionskriterium die Dauer des<br />

Aufenthaltes. Schließlich sollten all jene Kranken <strong>und</strong> Behinderten nach Berlin gemeldet<br />

werden, die sich seit mindestens fünf Jahren in einer Anstalt befanden. Die<br />

durchschnittliche Verweildauer der Rostocker Opfer betrug nach jetzigem Kenntnisstand<br />

9 ½ Jahre. Man muss jedoch davon ausgehen, dass sich diese Zahl noch erhöhen<br />

wird, da wir aufgr<strong>und</strong> der fehlenden Akten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht<br />

alle Klinikaufenthalte einbezogen haben. Lediglich bei der Diagnose progressive<br />

Paralyse scheint die Verweildauer von untergeordneter Bedeutung gewesen zu sein.<br />

War bei diesem Krankheitsbild ein so genannter „End- oder Defektzustand“ erreicht,<br />

bei dem der Patient als völlig antriebslos <strong>und</strong> stumpf beschrieben wird <strong>und</strong> dementsprechend<br />

nicht mehr zu einfachen Arbeiten herangezogen werden konnte, spielte<br />

die Verweildauer als Selektionskriterium keine Rolle mehr. Arbeitsfähigkeit war<br />

also von Relevanz, bot jedoch keinen prinzipiellen Schutz, wie das Beispiel der oben<br />

erwähnten Anna K. zeigt. Kurz vor ihrer Verlegung nach Bernburg wird in ihrer<br />

Krankenakte vermerkt, dass sie auch „weiter in der Nähstube“ tätig ist. Auch der an<br />

einer Schizophrenie erkrankte Wilhelm S. galt „im Allgemeinen als zugänglich <strong>und</strong><br />

arbeitet ganz fleissig“. 29 Tage nach diesem Eintrag wurde er von der GEKRAT<br />

abgeholt. Zu diesem Zeitpunkt war er seit 16 Jahren in der Gehlsheimer Anstalt untergebracht.<br />

Für die überwiegende Mehrheit der selektierten Patienten lässt sich<br />

dennoch feststellen, dass sie entweder gar nicht arbeiteten („völlig untätig“) oder<br />

dass sie nur widerstrebend zur Arbeit zu bewegen waren. Eine Aussage wie „Lebt<br />

25 Petra Fuchs, Die Opfer als Gruppe. in: Petra Fuchs/Maike Rotzoll/Ulrich Müller/Paul<br />

Richter/Geritt Hohendorf (Hrsg.), „Das Vergessen ist Teil der Vernichtung selbst“. Lebensgeschichten<br />

von Opfern der nationalsozialistischen Euthanasie. Göttingen 2007, 53-72, hier 68.<br />

26 Bei diesem Projekt wurden stichprobenartig 3.000 Krankenakten von „T4-Opfern“ aus dem<br />

Bestand der ca. 30.000 Akten des „Bestandes R179“ des B<strong>und</strong>esarchivs Berlin ausgewertet <strong>und</strong><br />

mit Proben von 563 Überlebenden der „Euthanasie-Aktion“ verglichen. Ziel war es, Aufschluss<br />

über weitere Selektionskriterien neben den vorgegebenen (Erbkrankheit/Unheilbarkeit/Leistungsunfähigkeit)<br />

zu erhalten. Dabei kristallisierte sich heraus, dass „störendes Verhalten“ ein weiterer<br />

wichtiger Aspekt bei der Aussonderung war. Diese Erkenntnis trifft auch auf die Rostocker<br />

Patienten zu.

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