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Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath

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Verbrechen an psychisch Kranken <strong>und</strong> Behinderten im Nationalsozialismus 235<br />

befand sich auch eine große Anzahl von Rostocker Patienten. Berücksichtigt man,<br />

dass neben den direkten Verlegungen von Rostock nach Schwerin auch die über<br />

Domjüch hinzukommen, muss man wohl von einer Zahl von mehreren H<strong>und</strong>ert ausgehen.<br />

Zudem kann man nicht ausschließen, dass auch in Domjüch selbst Patienten<br />

gezielt getötet wurden. 23<br />

Die Opfer<br />

Wer waren die Menschen, die wegen einer psychischen Erkrankung oder einer Behinderung<br />

als „Ballastexistenzen“ <strong>und</strong> „minderwertig“ etikettiert, keine Berechtigung<br />

auf Leben hatten? Welche Kriterien sprachen dafür, dass ihre Existenz durch<br />

eine sechsstellige, zentral von Berlin vergebene Nummer als „lebensunwert“ klassifiziert<br />

wurde? Was etwa hatten die 23-jährige Viktoria G. (Z-Nummer 165.832) aus<br />

dem Kreis Güstrow, die 68-jährige Anna K. (Z 165.831), die „fleißig Strümpfe“<br />

stopfte <strong>und</strong> „regelmäßig arbeitete“, <strong>und</strong> Ella H. (Z 165.864) aus Strals<strong>und</strong>, die „zu<br />

nichts brauchbar“ war, gemein? Warum mussten sie, genau wie Fritz N. (Z<br />

165.210) aus Schalensee, der „mitunter fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> zugänglich“ war, in der Gaskammer<br />

von Bernburg sterben; ebenso wie Margarete T. (Z 165.815), die „um Besuch.<br />

Und um Taschengeld“ bat oder der 33-jährige Rostocker Paul L. (Z 165.215),<br />

der der Aufforderung, sich sterilisieren zu lassen, nicht nachgekommen <strong>und</strong> deshalb<br />

von der Polizei nach Gehlsheim gebracht worden war? 24 Und auch dem Rostocker<br />

Karl M., der „Nie Anfälle“ gehabt hatte <strong>und</strong> „Immer gutmütig“ gewesen war, wurde<br />

sein Lebenswert abgesprochen, wie mindestens 22 seiner Mitpatienten, die nach<br />

Uchtspringe transportiert wurden.<br />

Es ist anhand der empirisch-statistisch erhobenen Daten natürlich nicht möglich,<br />

über den einzelnen Menschen in seiner Individualität Aussagen zu treffen. Krankenakten<br />

wie auch medizinische Dokumentationen können, selbst wenn sie teilweise<br />

persönliche Dokumente enthalten, sich ihrer Herkunft nicht entziehen. Sie sind<br />

zweckorientiert angelegte Dokumentationsmittel innerhalb der Medizin, im speziellen<br />

Fall der Psychiatrie. Dennoch sind sie eine gute Quelle, um Rückschlüsse darüber<br />

zu ziehen, was die Opfer als Gruppe verband. Dabei kristallisierte sich sehr<br />

bald heraus, dass die Kriterien für die zur Tötung bestimmten, in Rostock ausschließlich<br />

erwachsenen Patienten, eine Kombination von Diagnose, Aufenthaltsdauer,<br />

Arbeitsfähigkeit <strong>und</strong> Verhaltensauffälligkeiten war. Diese Merkmale bedingten<br />

teilweise einander <strong>und</strong> verdeutlichen, dass es sich bei der „Euthanasie“-Aktion,<br />

wie es Petra Fuchs treffend formulierte, letztlich um eine „[…] rationale, kalte <strong>und</strong><br />

23 Vgl. Christiane Witzke, Domjüch. Erinnerungen an eine Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalt in Mecklen-<br />

burg-Strelitz. Neubrandenburg 2001.<br />

24 Alle Angaben BA, R179.

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