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Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath

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Schöner Neuer Mensch 191<br />

weite Verbreitung <strong>und</strong> waren eine der wichtigsten Gr<strong>und</strong>lagen für die anthropologischen<br />

Utopien. Die Menschen erkannten sich selbst als Urheber ihrer Verhältnisse<br />

<strong>und</strong> erfuhren sich als politisch <strong>und</strong> geschichtlich handelnde Personen. Diese Emanzipation<br />

als ein ungeheurer Akt der Befreiung konnte grenzenlos ausgedehnt werden.<br />

So wurde über die Gesellschaft hinaus auch der menschliche Körper, die Natur<br />

<strong>und</strong> schließlich der Kosmos machbar.<br />

Schließlich waren die vielfältigen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Zeit <strong>und</strong><br />

ihre populären Kolportagen eine Inspirationsquelle für die verschiedensten Gedanken<br />

<strong>und</strong> Projekte. So kann man Aron Zalkinds (1889-1936) „12 sexuelle Gebote für<br />

das revolutionäre Proletariat“ als basierend auf verbreiteten Energielehren betrachten.<br />

Zalkind ging davon aus, dass die durch Verzicht <strong>und</strong> sexuelle Disziplinierung<br />

gesparte Sexualenergie ungeheuer groß sei <strong>und</strong> sich in den revolutionären Kampf<br />

<strong>und</strong> Aufbau sublimieren lasse. 24<br />

Die Arbeitsmenschen Aleksej Gastevs (1882-1939), welche in einer unendlich<br />

aufgefächerten Arbeitsteilung perfekt eingeübte Handgriffe ausführen sollten, waren<br />

augenscheinlich von den pawlowschen Erkenntnissen zu Reflex <strong>und</strong> Konditionierung<br />

beeinflusst. Versuche zur Lebensverlängerung wurden um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende<br />

von russischen <strong>und</strong> österreichischen Biologen mit Einzellern gemacht, die<br />

durch Zellteilung potentiell unsterblich wären. 25<br />

Die Begeisterung für technische Neuerungen war groß, die Möglichkeiten wurden<br />

als unendlich <strong>und</strong> scheinbar auch als weitgehend unproblematisch wahrgenommen.<br />

So war die „Technik“ die Lösung für alles: Von der Elektrizität über die<br />

Körperproduktion hin zum Antrieb, mit dem die Erde versehen werden sollte, um in<br />

der Lage zu sein, endlich die „schockierende“ Tatsache zu überwinden, „dass die<br />

Erde wie eine Ziege am Strick des Hirten Sonne ewig ihre Kreisbahn zieht.“ 26<br />

Umsetzungen <strong>und</strong> Institutionalisierungen<br />

Utopien erscheinen in ganz verschiedenen Formen. So gibt es neben klassischen, oft<br />

sehr detaillierten literarischen Darstellungen ganzer Gesellschaften politische<br />

Schriften, Manifeste <strong>und</strong> Programme, welche utopische Elemente enthalten. Es gibt<br />

aber auch Institutionen, welche der Realisierung utopischer Vorstellungen durch<br />

ihre Arbeit näherzukommen suchen. Schließlich gibt es auf dem Feld des Alltagslebens<br />

ganz praktische Versuche, Utopien unmittelbar zu leben beziehungsweise aus<br />

der Lebenswelt heraus zu entwickeln.<br />

<strong>Der</strong> eingangs zitierte Artikel der Biokosmisten in der Izvestija ist ein Beispiel<br />

für utopische Gedanken in der Form von Artikeln oder Programmen. Auch die poli-<br />

24<br />

Vgl. Groys/Hagemeister (Anm. 4), 24.<br />

25<br />

Vgl. ebd., 32f.<br />

26<br />

Aleksandr Svjatogor, in: Groys/Hagemeister (Anm. 4), 393.

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