18.11.2012 Aufrufe

Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath

Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath

Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Professor Hermann Alois Boehm 223<br />

filternde Diagnosen in die praktischen erbpflegerischen Überlegungen ein. Da zum<br />

Beispiel auch eine Disposition für eine Tuberkuloseerkrankung als erblich angesehen<br />

wurde, 65 galt das Vorkommen von Tuberkulose innerhalb der Familie als erbbiologischer<br />

Belastungsfaktor <strong>und</strong> konnte im Verb<strong>und</strong> mit anderen belastenden Daten<br />

auch zur Zwangssterilisation des Betroffenen führen. 66<br />

Die Betroffenen<br />

Boehm hielt es, wie viele seiner Zeitgenossen auch, angesichts der viel beschworenen<br />

Degeneration des deutschen Volkes für nötig, den „Aufartungsprozess“ durch<br />

derartige Eingriffe zu lenken. Wer nun konkret von einer solchen Maßnahme des<br />

Staates, für welche es ab 1934 mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses<br />

eine weit auslegbare gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage gab, betroffen war, lässt sich<br />

anhand von Einzelfallauswertungen der Erbges<strong>und</strong>heitsgerichtsakten im Oberhessischen<br />

Raum nachvollziehen: 67 Da das Gesetz einen breiten Auslegungsspielraum zuließ,<br />

waren sozial auffällige Personen jeden Alters neben den psychisch Erkrankten<br />

am häufigsten betroffen. Es befanden sich unter den Probanden z. B. ein 16-jähriger<br />

Junge aus gutbürgerlichen Verhältnissen, der einen ersten schizophrenen Schub erlitten<br />

hatte <strong>und</strong> dem die Tragweite des Eingriffs nicht klar gemacht werden konnte; betroffen<br />

war ein 13-jähriges im Heim lebendes Mädchen mit einem diagnostizierten<br />

65 Vgl. Karl Diehl/Otmar Frhr. von Verschuer, <strong>Der</strong> Erbeinfluß bei der Tuberkulose (Zwillingsforschung<br />

II). Jena 1936, 133. Vgl. weiter Hans-Walter Schmuhl, Grenzüberschreitungen. (wie Anm.<br />

38), 84ff., auch zur Methodenkritik der Zwillingsforschung.<br />

66 Die Belastungsfaktoren wurden in Erbkarteien, die zunächst regional angelegt wurden, notiert.<br />

Ab 1934 gab es Bestandsaufnahmen im Thüringischen Amt für Rassewesen <strong>und</strong> in der Abteilung<br />

„Erbges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Rassenpflege“ der hessischen Ärztekammer in Gießen unter H. W. Kranz.<br />

Vgl. Oehler-Klein, Das Institut (wie Anm. 34). Notiert wurden Beruf, Konstitution („kräftig, muskulös“,<br />

„schmächtig“), Arten des Todes in der Familie, Krankheiten des Gemüts, sonstige Krankheiten<br />

(Tuberkulose, Zuckerkrankheit, Syphilis), auffällige Leistungen <strong>und</strong> Verhalten („soll unselbständig<br />

sein“). Vgl. z. B. die Einträge in die Sippschaftstafel, eingefügt in Akten des Erbges<strong>und</strong>heitsgerichts<br />

Gießen: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt (HStAD), G 29 U Nr. 1045 <strong>und</strong><br />

Nr. 894. Eine reichsweite Regelung zur Anlage von Sippentafeln galt schließlich 1936 für die Heil-<br />

<strong>und</strong> Pflegeanstalten. Vgl. Renate Rosenau (unter Mitarbeit von G<strong>und</strong>a John <strong>und</strong> Heidi Klee), Die<br />

Alzeyer Landes-Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalt in der Zeit des Nationalsozialismus, in: 100 Jahre Rheinhessen-Fachklinik<br />

Alzey. Festschrift zum 100-jährigen Gründungsjubiläum. Alzey 2008, 67-100,<br />

hier 76.<br />

67 Nachweise zu den genannten Fällen bei Sigrid Oehler-Klein, „... als ges<strong>und</strong>er Mensch kam ich<br />

nach Gießen, krank kam ich wieder nach Hause ...“. Die Durchsetzung des eugenischen Programms<br />

der Nationalsozialisten in Gießen – Psychiatrische Universitätsklinik <strong>und</strong> das Institut für<br />

Erb- <strong>und</strong> Rassenpflege 1933-1945, in: Psychiatrie in Gießen – Facetten ihrer Geschichte zwischen<br />

Fürsorge <strong>und</strong> Ausgrenzung, Forschung <strong>und</strong> Heilung. Begleitband zur Ausstellung „Vom Wert des<br />

Menschen“. Zentrum für soziale Psychiatrie, Gießen (Historische Schriftenreiche des Landeswohlfahrtsverbandes<br />

Hessen, Quellen <strong>und</strong> Studien, Bd. 9), Gießen 2003, 199-249.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!