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Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath

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Professor Hermann Alois Boehm 211<br />

senhygiene 1895 von Alfred Ploetz (1860-1940) eingeführt. Die Forderung nach<br />

probaten Mitteln zum Ausschluss der als erbkrank erachteten oder auch sozial unerwünschten<br />

Personenkreise von der Fortpflanzung konnte sich allerdings im Prinzip<br />

auf jede Gesellschaft beziehen <strong>und</strong> so fand die Rassenhygiene als sozialtechnologisch<br />

verstandene Steuerung der Bevölkerungsentwicklung auch in sozialdemokratischen<br />

Kreisen Anklang. 21<br />

Dass innerhalb dieser Sozialutopien aber nicht nur in sozial- <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitspolitischen,<br />

sondern auch in rassischen Kategorien gedacht wurde, lag an der Verschmelzung<br />

der Analyse von Bevölkerungsstruktur <strong>und</strong> -entwicklung mit einer rassistisch<br />

geprägten Geschichtsschreibung. Innerhalb des Rassendiskurses seit der europäischen<br />

Aufklärung waren die definierten Rassen, deren Zahl <strong>und</strong> Merkmale allerdings<br />

erheblich variierten, in ihrem Einfluss auf die Zivilisation unterschiedlich<br />

bewertet worden. Dass man in Europa durchgängig von Mischungen ursprünglicher<br />

Hauptrassen ausgehen musste, erklärten schließlich im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert nicht nur<br />

Graf Joseph Arthur de Gobineau (1816-1882), sondern eine Reihe führender Anthropologen<br />

um 1900, wobei allerdings diese Hauptrassen wegen der Vielfalt der unterschiedenen<br />

rassischen Merkmale, der Schwierigkeit ihrer Zuordnung <strong>und</strong> der bestehenden<br />

Vermischungen nachträglich erst als solche konstruiert werden mussten. 22<br />

Gobineau hatte in seinem breit rezipierten vierbändigen Werk „Essai sur l’inégalité<br />

des races humaines“ (1853-1855) naturalisierend die Geschichte der Völker 23 als<br />

Resultat von Rassenmischungen gedeutet; in den europäischen Gesellschaften hätten<br />

sie einen degenerativen Prozess eingeleitet. Mit der wachsenden Bedeutung der Naturwissenschaften<br />

erschien in der sich etablierenden Rassenhygiene Degeneration<br />

nicht nur als Geschichte bestimmendes, sondern vor allem als pathologisches Phänomen,<br />

das heilende Eingriffe verlangte.<br />

Die Verschmelzung verschiedener Ansätze, also eines anthropologischen, eines<br />

genetisch-biologischen <strong>und</strong> eines zivilisationshistorischen, lieferte die rassenhygienische<br />

Begründung für das Ziel der Bewahrung <strong>und</strong> Verbesserung der konkreten<br />

deutschen Bevölkerung, aber auch der angeblich geschichtstragenden „germanisch-<br />

tungspolitik in hessischen Anstalten. Begleitband zur Ausstellung des Landeswohlfahrtsverbandes<br />

Hessen (Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Kataloge 1). Kassel<br />

1991, 69-77, hier 69 <strong>und</strong> 72. In Deutschland wurden zwischen 1933 <strong>und</strong> 1945 „vierzehnmal so<br />

viele Menschen sterilisiert wie in den USA mit ihrer doppelt so hohen Zahl von Einwohnern“.<br />

21 Vgl. Eckart, Rationale Vernichtungspolitik (wie Anm. 13), 29.<br />

22 Um 1900 wurde innerhalb der Fachwissenschaft die Legitimität des Rassebegriffs äußerst kritisch<br />

diskutiert: Das Problem, aufgr<strong>und</strong> distinkter körperlicher Merkmale einheitliche Menschengruppen<br />

definieren zu können, wurde zunehmend deutlicher. Für die dann noch bestehenden<br />

Uneinheitlichkeiten bezüglich der Gr<strong>und</strong>lagen der Definition einer Rasse vgl. exemplarisch Niels<br />

C. Lösch, Rasse als Konstrukt. Leben <strong>und</strong> Werk Eugen Fischers. Frankfurt a. M. 1997, 30.<br />

23 Bereits um 1800 hatte der populäre Historiker <strong>und</strong> Schriftsteller Christoph Meiners (1747-<br />

1810) Völker bzw. Volksgruppen wie Kelten, Slawen <strong>und</strong> Germanen unter Verweis auf eine gemeinsame<br />

Abstammungs- <strong>und</strong> Zivilisationsgeschichte ebenfalls als „Rassen“, denen er unterschiedlich<br />

bewertete Charaktereigenschaften zumaß, bezeichnet.

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