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Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath

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Schöner Neuer Mensch 187<br />

Im Rahmen einer Vorlesung kann das Thema verständlicherweise nur einblicksartig<br />

beleuchtet werden. Einige der folgenden Utopien sind bisher kaum bekannt<br />

<strong>und</strong> sorgen im besten Fall für Neugier <strong>und</strong> Überraschung. Gr<strong>und</strong>legend wird hoffentlich<br />

folgendes klar werden: Die beiden utopischen Konzeptionen, welche sich in<br />

der Betrachtung gegenüberstehen <strong>und</strong> jeweils überzeichnete Ausdrucksformen von<br />

Teilen der ihr jeweils zugr<strong>und</strong>eliegenden Ideologie darstellen, haben ähnliche Erscheinungsformen<br />

– inhaltlich stehen sie sich jedoch diametral <strong>und</strong> unversöhnlich<br />

gegenüber.<br />

Utopien in der frühen Sowjetunion 7<br />

Am 4. Januar 1922 erschien in der Izvestja, der Moskauer Regierungszeitung, folgender<br />

Artikel, welcher von einem „Kreatorium der Biokosmisten“ unterschrieben<br />

wurde:<br />

„Wir stellen fest, dass die Frage der Verwirklichung persönlicher Unsterblichkeit<br />

jetzt in vollem Umfang auf die Tagesordnung gehört. Wir setzen<br />

auch den Sieg über den Raum auf die Tagesordnung. […] Unsere dritte Aufgabe<br />

ist die Wiederherstellung der Toten in eben dieser Vollkommenheit.“ 8<br />

In diesem zunächst bizarr erscheinenden Programm finden sich extreme Formen<br />

von in der frühen Sowjetunion möglicherweise weit verbreiteten Vorstellungen,<br />

welche im beschriebenen Sinne als „utopisch“ 9 charakterisiert werden können. Die<br />

„Auferweckung der Toten“ war für die Biokosmisten die Konsequenz aus einer messianistischen<br />

Auffassung der kommunistischen Weltanschauung. Demnach wäre<br />

eine kommunistische Gesellschaft der Zukunft deshalb ungerecht <strong>und</strong> ihre Mitglieder<br />

mit Schuld beladen, weil all die Generationen vor ihnen diese Gesellschaft unter<br />

Aufbringung großer Opfer ermöglicht hätten, ohne zu Lebzeiten in den Genuss ihrer<br />

Vorzüge zu kommen. 10<br />

Das Motiv der Auferweckung findet sich auch in anderen Quellen. So verkündete<br />

Nikolaj Rožkov (1868-1927) bereits 1911, dass „jeder, welcher vor vielen Jahr-<br />

7<br />

<strong>Der</strong> Teil zu den sowjetischen Utopien basiert auf folgender Schrift: Groys/Hagemeister (Anm. 4).<br />

8<br />

Aleksandr Svjatogor, Die biokosmistische Poetik. Moskau 1921, in: Groys/Hagemeister (2005),<br />

393f.<br />

9<br />

Es ist äußerst schwer nachzuvollziehen, wie weit ein bestimmtes Gedankengut tatsächlich<br />

verbreitet gewesen ist <strong>und</strong> welchen Einfluss es hatte. Die Biokosmisten werden von Michael<br />

Hagemeister als „kurzlebige, aber spektakuläre Bewegung“ eingeschätzt. (Vgl. ebd., Fußnote, 26.)<br />

Ein Gesamtbild aller Strömungen <strong>und</strong> eben auch eingangs erwähnter Widersprüche zu erstellen,<br />

würde den Rahmen dieses Textes sprengen, wäre aber notwendig, um eine f<strong>und</strong>ierte Einschätzung<br />

zu ermöglichen. Die Gedanken der Biokosmisten können daher an dieser Stelle als ein extremer<br />

Ausdruck vorherrschender Ideen unter einer Vielzahl letzterer verstanden werden, die mitunter<br />

auch miteinander konkurrierten.<br />

10<br />

Boris Groys zeichnet diese Argumentation nach: ebd. (Anm. 4), 10f.

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