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Der Hygieniker und Ernährungswissenschaftler Werner Kollath

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Verbrechen an psychisch Kranken <strong>und</strong> Behinderten im Nationalsozialismus 233<br />

Bei Überbelegung der Klinik kam es immer wieder zu Verlegungen nach Domjüch<br />

oder Schwerin. Dies betraf insbesondere die Patienten, die als nicht heilbar galten.<br />

Nicht selten kam es zu Rückverlegungen <strong>und</strong> erneuten Verlegungen in die genannten<br />

Anstalten. Zwischen dem 4. <strong>und</strong> 7. September 1939 fanden Verlegungen in größerem<br />

Umfang statt. Hintergr<strong>und</strong> war, dass im Zuge kriegsbedingter Maßnahmen in<br />

der Rostocker Psychiatrischen <strong>und</strong> Nervenklinik Bettenkapazitäten für ein Reservelazarett<br />

sowie den zivilen Luftschutz frei gemacht werden sollten. Während die ersten<br />

Verlegungen vom 4. September sowohl im Entlassungsbuch als auch zumeist in<br />

den Diagnosekarten dokumentiert sind (so ist z. B. zu lesen: „wegen Kriegsausbruch<br />

nach Domjüch verlegt“ oder „Vorzeitige Entlassung angesichts der augenblicklichen<br />

Lage“) 14 , finden sich in den darauf folgenden Tagen nur wenige Einträge. Ob dieses<br />

Vorgehen mangelnde organisatorische oder andere Gründe hatte, muss offen bleiben.<br />

Problematisch ist es insofern, da ca. 100 Patienten aus der Dokumentation „verschwinden“.<br />

Es ist also nicht bekannt, ob diese entlassen oder verlegt worden sind,<br />

wobei man davon ausgehen kann, dass die meisten verlegt wurden. Diese Annahme<br />

korreliert mit dem Jahresbericht der Klinikleitung, die angab, dass 220 Patienten aus<br />

den oben genannten Gründen verlegt worden waren. 15<br />

Auch in anderen Regionen Deutschlands war es in den ersten Septembertagen 1939<br />

zu Verlegungen von Psychiatriepatienten gekommen. 16 Inwiefern es sich hierbei bereits<br />

um eine zielgerichtete Maßnahme gegen psychisch Kranke handelte, muss die<br />

weitere Forschung zeigen. Tatsache ist, dass die Rostocker Patienten, von denen bekannt<br />

ist, dass sie in der „Euthanasie“-Anstalt Bernburg getötet wurden, den Transporten<br />

vom 4. bis 7. September 1939 angehörten. Sie wurden im Sommer 1941, am<br />

11. <strong>und</strong> 18. Juli sowie am 1. August, durch die so genannte „Gemeinnützige Krankentransport<br />

GmbH“, kurz GEKRAT, von Schwerin <strong>und</strong> Domjüch in das etwa 300<br />

km entfernte anhaltische Bernburg gebracht. Wohl noch am selben Tag starben sie<br />

in der Gaskammer im Keller des ehemaligen Männerhauses II, ebenso wie andere<br />

psychisch Kranke <strong>und</strong> Behinderte.<br />

Am 24. August 1941 ordnete Hitler die Einstellung der „Aktion T4“ an. Vorausgegangen<br />

waren Proteste aus der Bevölkerung sowie von kirchlicher <strong>und</strong> justizieller<br />

Seite. In 1½ Jahren waren mehr als 70.000 psychisch Kranke <strong>und</strong> Behinderte der<br />

„Euthanasie“ zum Opfer gefallen. 17 Doch das Morden ging weiter. <strong>Der</strong> aus rein taktischen<br />

Maßnahmen <strong>und</strong> zudem abrupt veranlasste Stopp der zentral organisierten<br />

Vergasungen traf die Organisatoren in Berlin unvorbereitet. Besonders die norddeutschen<br />

Regionen Hamburg, Schleswig-Holstein <strong>und</strong> Westfalen waren erst kurz<br />

14<br />

KbA R.<br />

15<br />

MLHA, MfU, Nr. 10320.<br />

16<br />

Angela Borgstedt, Auftakt zur Vernichtung. <strong>Der</strong> Polenfeldzug <strong>und</strong> die „Aktion T4“, in: Tribüne<br />

48, 2009, 125-131.<br />

17<br />

Die Bilanz der „Aktion T4“ beläuft sich nach dem so genannten „Hartheim-Dokument“ auf<br />

70.273. Zit. nach Ernst Klee, Dokumente zur Euthanasie. Frankfurt/M. 1985, 232.

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