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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 100 of 178<br />

Eidechsen, in allen Grössen, reizende Tiere; sie fangen Fliegen und man muss ihnen unwillkürlich<br />

zusehn dabei. Wie kommts nun, dass ich (nur ich? oder ist es allgemein?) mit meiner ganzen<br />

Sympathie dabei bei der Eidechse bin und mit der Fliege keine Spur Mitleid habe; (ich könnte sie ja<br />

stets retten, indem ich sie einfach wegjage); nur ein gewisses Grauen kriege ich, wenn ich das<br />

unglaublich tückische Gesicht sehe, das die Eidechse während des ziemlich langwierigen<br />

Herunterschlingens macht: so eine Art Triumph=der=Hölle = Gesicht. Also woher diese<br />

besinnungslose Sympathie mit dem Stärkeren? Es giebt ja eine Geschichte von einem kleinen<br />

Jungen, der erzählt kriegt, wie ein[em Löwen gestr.] Neger noch im letzten Augenblick verhindert<br />

wird einen Missionar zu fressen, und der entsetzlich zu weinen anfängt:"armer Neger, armer Neger!".<br />

So ähnlich ist das eigentlich.<br />

"Armes <strong>Gritli</strong>" - nicht weil du keine Missionare zu fressen bekommst (oder vielleicht gar<br />

doch??), aber weil du so langweilige Briefe lesen musst, von abgeschlagenen Köpfen und<br />

aufgefressenen Fliegen. Lies nur die Unterschrift; sie ist dennoch wahrer als alles:<br />

Dein Franz.<br />

26.8.18<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, du gewöhnst mich aber sehr langsam wieder an dich. Erst kam eine Botschaft durch<br />

<strong>Eugen</strong>, dass ihr Ranke läset, dann eine zweite, dass du mich läsest (ist schon besser), und gestern<br />

eine weitere Steigerung: eigenhändig eine Vertröstung auf "morgen" (d.h. aber ins Mazedonische<br />

übersetzt: übermorgen). Nach diesen drei Komparativen darf ich also morgen den Superlativ<br />

erwarten: das "erste Handschreiben". Ich verklage das grosse <strong>Gritli</strong> in Säckingen bei dem kleinen<br />

hier, aber das nimmt dich in Schutz und sagt, du hättest dich auf es verlassen und gemeint, ich würde<br />

es gar nicht merken - und ich selber hätte es doch auch gemeint, aber freilich ich merke es doch.<br />

Aber jedenfalls, das kleine hat mich wieder still gemacht, und nun warte ich still "auf morgen" - auf<br />

das grosse. Komm -<br />

Sonne, Mond u. Sterne, an sich sehr gut geschrieben und doch überall nach Ergänzung<br />

verlangend; es setzt ja das ungeschriebene Revolutionsbuch direkt voraus, ist eigentlich eine Kapitel<br />

daraus. Das muss er schreiben, es ist eine überreife Frucht. Viel wichtiger als das Staatsbuch, das<br />

doch nur Essays wären. Für "Europas Darstellung" braucht er nichts mehr als noch ein bischen Kritik<br />

und Vorsicht im Formulieren des Grundsätzlichen, der Zeit = "Rechung". Da muss er sich gegen die<br />

nächstliegenden Einwände decken, indem er die subjektive Seite, die doch mindestens auch zur<br />

Sache gehört (das Zeit = Erlebnis der Personen) betont; wie ichs ihm voriges Jahr ausgeführt habe.<br />

Das Wunder der Wirklichkeit wird nicht geringer, wenn man den immer menschlichen Mechanismus<br />

aufzeigt, durch den es sich verwirklicht; denn dieser Mechanismus ist ja selbst wieder ein Wunder.<br />

So löse ich jetzt meine Dreiecke und Sterne rückwärts in logische Beziehungen auf; sie werden<br />

dadurch nicht weniger dreieckig, aber (im Gegenteil) das Logische wird dreieckiger. Man kann das<br />

Symbol nur dadurch als das Höhere gegenüber dem formlosen Gedanken aufweisen, indem man<br />

zeigt, wie das Symbol die Kraft hat, sich der Gedanken zu bedienen. Dass die Wirklichkeit gewaltig<br />

ist, zeigt sich grade darin [dass] die Menschen gar nichts andres können als - sie verwirklichen.

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