Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 106 of 178<br />
geschrieben zu haben. Es kommt das herein, was im Rudibrief kaum drin steht oder jedenfalls nur<br />
sehr rhapsodisch. Er wird auch der kürzeste. Deshalb ist es wohl möglich, dass ich ihn noch vor<br />
Urlaub fertig kriege. Ein ungemütliches Leben wird es freilich. Aber vielleicht bis ich ganz fertig bin<br />
ist der Krieg alle. Denn ich weiss wirklich nicht was ich dann noch im Krieg soll. Mehr als mein<br />
System schreiben kann ich doch nicht. Für alles andre müsste es Frieden sein.<br />
Ach <strong>Gritli</strong> - alles andre. Manchmal habe ich mich wohl davor gefürchtet und den Krieg wie eine<br />
letzte Atempause vor der Hetze des Lebens empfunden; aber im Grunde sehne ich mich jetzt danach,<br />
nach dem was kommt, nach "allem andern". Und vielleicht waren diese Jahre auch in meinem<br />
eigenen Leben nicht sinnlos - eine Talsperre an der ich mich erst hochstauen musste; nur sehr<br />
wenigen ganz grossen und starken Strömen genügt es, bloss entsprungen zu sein, und selbst die<br />
brauchen noch den Glücksfall starker Zuflüsse, oder ein natürliches Staubecken wie den Bodensee.<br />
Nun einerlei - und du hast mir vielleicht meine Theorie von der "Lücke im Leben" nie recht geglaubt,<br />
wie solltest auch du grade es geglaubt haben! es wäre viel verlangt! nein, es ist keine Lücke. Tag<br />
folgt auf Tag und Augenblick auf Augenblick. Im Tag und Augenblick -<br />
Dein.<br />
30.VIII.[18]<br />
Lieber <strong>Eugen</strong>, ich habe eben ...[Zeichnung: Sonne, Mond u. Sterne] noch mal gelesen,<br />
litterarisch mit ähnlichem Eindruck wie das erste Mal: dass es am Schluss schwächer wird. Zur<br />
Sache noch, dass die Teilung des Kriegs in zweie sicher richtig ist. Hans hat sie auch gesehen. Unsre<br />
Kriegsschlussprofezeiung "Herbst 17" ist ja nur durch Amerika fehlgegangen; ohne Amerika wären<br />
die Westmächte der Einladung nach Brest Litowsk gefolgt, wenn nicht schon der Papstnote. - Auch<br />
meine Stoffwahl in Ökumene (Januar 17) u. Thalatta (Dezember 17) ist charakteristisch. Was ich<br />
noch nicht sehe, ist die Mediatisierung Englands. Kolonialkrieg hat es doch immer geführt, anfangs<br />
an den Dardanellen. Belgien als Kriegsschauplatz war doch nur Folge der Tradition des<br />
(gemeineuropäischen) Militarismus.<br />
Im übrigen - ich bringe kein rechtes Inreresse für den Krieg mehr auf. Der 30jährige Krieg hatte<br />
ja auch zwei deutlich gechiedene Teile, vor und nach Richelieus Eintritt. Aber ein Landsknecht<br />
merkt nichts davon; für den ist es - später mal - der dreissigjährige Krieg, und so lang er dabei ist<br />
sind es Feldzüge und Winterquartiere. Soweit das bischen Landsknechtsseele, das in mir ist. Und das<br />
übrige ist jetzt erstrecht unpolitisch. Heut morgen habe ich einen litterarischen Voranschlag gemacht<br />
und war aufs Neue erschrocken. Hoffentlich bleibt mir wenigstens dieser Kriegsschauplatz, und in<br />
der bisherigen Form, erhalten.<br />
Mein diesjähriges Winterquartier in Kassel werde ich wohl erst im November beziehen.<br />
Solange darfst du also baden. Aber dann spätestens musst du an die Ausbildung der<br />
niederhessisschen Trainrekruten gehen. Gott sei Dank, dass ich keiner davon bin, sondern<br />
Dein Franz<br />
31.8.[18]