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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 141 of 178<br />

gleichzeitig etwas für mich tun, etwa korrigieren. Vielleicht kann ich ausserhalb der Kaserne<br />

wohnen, und kurioserweise: meine alten Wirtinnen wohnen jetzt so in der Nähe der Kaserne wie<br />

früher in der Nähe der Universität, - ich will also sehen, ob ich ein drittes Mal zu ihnen ziehen kann.<br />

Es war überhaupt recht freiburgisch schon heute; meine schönsten Universitätssemester waren doch<br />

die hier. Nur der Münsterturm sieht abscheulich aus mit seinem hohen steifen Stehkragen. Rohde ist<br />

leider grade weggekommen, nach Belgien. Was aus mir wird, weiss ich natürlich nocht nicht; ein<br />

paar Wochen können es wohl werden und 8 Tage Kriegsanleiheurlaub ab 4.XI (oder ev. auch ein<br />

paar Tage später) nach "Kassel und Wildungen" zwecks Flüssigmachung von M. 600 (sprich<br />

sechshundert - wenn wir die in Frankfurt gehabt hätten!) sind mir sicher; die kommen nicht ins<br />

Soldbuch, zählen also nicht als Unterbrechung der urlaubslosen Zeit; ich will sie also auch nicht<br />

zählen; also z.B. wenn ich grade im Schreiben bin, nicht unterbrechen, sondern ruhig jeden Morgen<br />

ein paar Stunden daran hängen. Bis jetzt habe ich noch nichts wieder geschrieben, teils aus<br />

Abhaltung und teils aus einer Art Schamgefühl; es wird ja das eigentlich indiskrete Kapitel, obwohl<br />

gar nicht Beichte.<br />

Aufgeräumt wird hier zur F.Art., nicht zur Inf.! das ist bezeichnend; Art. hat jetzt schwerere<br />

Verluste als Infantrie. Em.[?] schützt nicht, im Gegenteil; das Militärische ist doch immer<br />

unberechenbar. Heute morgen hat es sich aber mit 21 Mark als Retter in der Not erwiesen; ich war<br />

nach Liquidierung meiner Briefmarken auf 20 Pf bewussten Kassenbestand gekommen; einen<br />

unbewussten von einem 5= und einem 2= M Schein entdeckte ich erst viel später. -<br />

Kleidervorschriften sind hier von einer Garnison-mässigkeit, als ob man 1913 schriebe. Ich halte es<br />

übrigens jetzt doch wieder für möglich, dass die Hohenzollern, wenn auch nicht Wilhelm, bleiben;<br />

nur leider nicht weil das deutsch Volk sie hält, sondern weil England in ihnen einen Schutz vor dem<br />

Bolschewismus erblickt. Heut abend bei Mündel sah ich wieder, wie wenig die Menschen schon die<br />

Lage spüren. Das Wörtlein "muss" ist offenbar im Deutschen schwer auszusprechen; dass eine<br />

französ. Besatzung in Freiburg sein würde, hatte er noch nie gedacht und war ganz erschüttert von<br />

der Möglichkeit. Bleibe ich länger, d.h. noch über den Anleiheurlaub hinaus, so würde ich wohl mal<br />

einen Sonntag nach Hinterzarten; aber soll und kann ich dann nicht vor allen Dingen einmal nach<br />

Säckingen? das liegt mir viel mehr am Herzen. Aber vorläufig ist ja noch nicht die Rede davon.<br />

Dies verrückte Papier habe ich Keppichs in Belgrad entführt und schreibe II 2 darauf. Es lässt<br />

mehr unbeschrieben als beschrieben. Und auch der Brief selber lässt mehr ungeschrieben als<br />

geschrieben. Meine Gedanken laufen ringsherum auf dem ganzen Rand.<br />

Denkend = dankend<br />

--- Dein.<br />

29.10.18<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, bei wem schreib ich wohl? bei Herrn Kinkel. Was ich mit Tinte geschrieben habe -<br />

und das Schöpfungkapitel ist es fast ganz -, kann er fast ohne Hülfe meinerseits und fast ohne Fehler<br />

abschreiben; das ist ein rechtes Glück; denn im übrigen sieht es hier mit den Aussichten für den<br />

Stern bös aus; der elende Garnisondienst mordet die Frühstunden; sowie ich Privatwohnung habe,

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