Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 41 of 178<br />
Lieber <strong>Eugen</strong>,<br />
Dein Franz.<br />
16.IV.[18]<br />
du wirst es komisch finden, aber den Theoretikus hat das mit dem Quartett nicht in Ruhe<br />
gelassen. Ich hatte es immer für unerklärlich gehalten. Es ist aber sogar sehr klar. : Der einzelne Ton<br />
ist ganz charakterlos, erst das Intervall hat bestimmten Ausdruck, Seele. Das Dramatische, der<br />
Dialog, also das Menschliche in der Musik lässt sich also nicht durch zwei gegeneinander geführte<br />
Einstimmigkeiten geben, sondern nur durch zwei Zweistimmigkeiten. Das Streichquartett ist der<br />
klassische Fall. Alle Komplizierung durch Orchestermassen führt doch fast nie über die zwei<br />
Gruppen heraus. Es lässt sich zwar ein mehr als zweistimmiger Kontrapunkt schreiben, aber - nicht<br />
hören. Oder zwar hören, aber nicht mehr dramatisch verstehen. Mehr als zweistimmige Musik ist<br />
schon wieder, wie einstimmige, Gesang des Einzelnen, Lyrik, nicht mehr die Welt. Auch im Drama<br />
ist ja der Dialog immer bloss zweistimmig. "Partei wird alles", gilt für die Trit= und<br />
Tetartagonische[?]. Auch im Streichtrio gruppieren sich die Stimmen - zwei gegen eine, und die eine<br />
ist alleine und kann sich nicht ausdrücken. (Daher gilt für das Klaviertrio und schon für die<br />
Klaviersonate nicht das gleiche wie für das Streichtrio). - Ich merke im Schreiben, wie sehr das alles<br />
doch wieder ins Gleichnis fällt. Und wie recht du auch mit deinem Schluss hast: - das Bild der Welt<br />
kann sich in der dramatischen Dreistimmigkeit der Haydn Mozart Beethoven nicht rein, nicht<br />
unverzerrt spieglen; nur im undramatischen wieder einstimmigen Kontrapunkt Bachs, nur im Lied,<br />
und nur in dem einen Lied, das alle Welt unter sich liegen lässt, können sie rein und gleich<br />
zusammenklingen.<br />
Kann ich dir das denn schreiben? Antworte nicht darauf - es ist ja schon selber Antwort. Wir<br />
müssen und werden uns auch noch im Vierklang der Welt finden.<br />
Euer Franz.<br />
17.4.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, dein Summabrief aus Hinterzarten nach den vier Tagen. Auf die Hauptsache haben<br />
wir uns wie stets schon geantwortet. Nur dass bei mir keine besondere Erfahrung zu kommen<br />
brauchte, damit ich lernte, was dich die Zeit nach dem 19.März gelehrt hat, denn ich habe in diese<br />
Kandare vom ersten Augenblick an gebissen und mir das Maul dran aufgeschunden. Du hast eben<br />
ein vertrauensseligeres Herz, schon als Frau. Ich glaube für jede Frau ist der Weg zum Abgrund<br />
weiter als für jeden Mann. (Vgl. übrigens Blocksbergszene: ... mit 1000 Schritten schaffts die Frau. -<br />
Doch wie sie sich auch eilen kann, - mit einem Sprunge schaffts der Mann). So haben mich diese<br />
Tage darin eigentlich kaum etwas gelehrt. Vielleicht doch? du weisst es besser, du hast ja was ich dir<br />
seitdem geschrieben habe. Was du sagst, von Seele und Erdenschicksal, ist ja genau das was ich das<br />
Ungereimte nenne: die Seele des andern trage ich, wenn er sie mir schenkt, sein Schicksal nur, wenn<br />
er mir gehört. Und eben dies, dass wir uns einander schenken müssen und uns doch keinen<br />
Augenblick gehören können - das Ich bin dein ohne das Du bist mein -, das hat mich nie verlassen;<br />
die Kassler Tage jetzt waren nur eine neue Bestätigung. Aber, aber -: alles Schicksal ist uns doch nur