Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 177 of 178<br />
und über contiones überhaupt).<br />
Ich bin nun sehr darin. Ich habe mir noch Kluges etymolog. Wörterbuch geschenkt, ich hatte es in<br />
guter Erinnerung von der Bibliothek, wenn auch nicht sehr genauer. Hoffentlich ist <strong>Eugen</strong><br />
einverstanden. Ausserdem die kleine Mandelkernsche Konkordanz. - Seit gestern lesen wir in<br />
Cohens Ethik und Ästhetik und finden eine Herrlichkeit nach der andern. Er ist doch seit<br />
Schopenhauer und Nietzsche der erste, und mir steht er so nah, oder vielmehr ich ihm, das ich ihn<br />
jetzt kaum lesen kann. Aber im Februar, wenn ich fertig bin, lese ich ihn und werde dann dabei am<br />
besten sehen, was ich noch vergessen habe und sonst ändern muss. Von mir selber aus würde ich die<br />
nötigen Verbesserungen doch nicht machen, weil ich vor meinem Geschriebenen immer zu viel<br />
Respekt habe. Was für ein Mensch! Ich wundre mich immer wieder, dass ich noch zu ihm<br />
gekommen bin, wirklich doch in zwölfter Stunde. Und zu ihm gekommen, als ich schon von mir aus<br />
reif für ihn war, nicht mehr als Schüler und Umzuschweissender. Das Leben (um nichts Deutlicheres<br />
zu sagen) ist gut. Und ich<br />
bin Dein.<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>,<br />
30.XII.[18]<br />
es ist wohl immer besser, sich nichts "verbieten" zu lassen, wenigstens nichts aus guten<br />
Absichten, denn es kommt doch immer verkehrt: gestern kam gar kein Brief und heute der an Mutter<br />
und der an mich mit der gleichen Post. Mutter ist ja übrigens fast unberechenbar. Solange Beckerath<br />
da ist, ist sie nett, (und abends orakelt sie mir über ihn, meistens Nonsense), sie empfindet ihn als<br />
ihre Partei gegen uns tyrannos; ich habe sie gestern Abend mal geärgert und ihr gesagt, er wäre<br />
unproduktiv und sähe daher immer nur was er sähe, nicht die Teile der Welt, die noch im Dunkeln<br />
liegen; so ist er ja abhängiger als wir andern von der Stoffzufuhr.<br />
Heut nachmittag ist zum ersten Mal wieder seit 1913 der Klassentag auf dem Herkules, und<br />
abends kommt Rudi. So schreibe ich dir vormittags und lasse III 1; es geht jetzt unmittlebar in den<br />
Hauptteil, die Liturgie, hinein.<br />
Inzwischen habt ihr ja Onkel Viktors grossen und schönen Brief über <strong>Eugen</strong>. Es ist doch ganz<br />
selbstverständlich, dass du im Februar nach Leipzig mitgehst. Viel eher könnt ihr dann im März<br />
nochmal nach Säckingen zurück, und braucht ja im Februar noch nicht das Giebelzimmer<br />
auszuräumen. Ich will nun doch wirklich sehen, das ich Mitte Januar von hier fortkomme. Gehe ich<br />
nicht nach Berlin, so wird mindestens I 1 und I 2 bis dahin fertig. Und ich möchte so gern einmal in<br />
Säckingen sein, wenn du da bist, ich meine: noch wirklich da, mit dem eigenen Zimmer.<br />
Denk, ich habe dich eigentlich um die lange volle Bank mit Eltern und Geschwistern am<br />
Weihnachtsmorgen nur beneidet. Das ist doch viel mehr als was ein Pfarramtskandidat sagt, ja selbst<br />
mehr als was Eltern und Geschwister etwa sagen können - eine ganze Bank voll! Kennst du den<br />
Schluss der Kellerschen Legende von der Jungfrau als Nonne? Die Massenhaftigkeit imponiert mir<br />
immer.