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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 25 of 178<br />

Also - du hast wirklich dein Teil daraus genommen. Mir war es damals gar nicht klar, warum ich<br />

grade so teilte. Aber es ist schon so: ich habe ja eine sehr glückliche Kindheit gehabt, ganz ohne<br />

Qual des Alleinseins, obwohl ichs war; so ist mir das Kind selber, das dir grade vertraut ist, fremd.<br />

Ich fühlte mich in dem Buch berührt durch die phantastische zweite Welt; in so einer, aber ganz<br />

glücklich, lebte auch ich, und zwar so lange bis das Erwachsenwerden und nun zugleich sofort auch<br />

die Qual anfing; jene erste Welt verschwand da so plötzlich, dass ich heute fast nichts mehr davon<br />

weiss; ich hatte aber wohl eine richtige private Kinderreligion gehabt; sie ist ganz versunken. Grade<br />

als ich Sprache bekam, und gleichzeitig sofort erfuhr, dass man nicht sprechen kann ohne sich zu<br />

schänden, da erst spürte ich die Schmerzen der Einsamkeit, und alles Folgende ist eigentlich bis<br />

heute nur ein einziger Kampf um das Wort, das wahr ist, ohne zu entweihen. Bis heute, das weisst du<br />

selber. Jahre lang schien mir die Wissenschaft eine solche verschämte Geheimsprache werden zu<br />

können, deshalb stürzte ich mich in sie. Und erst <strong>Eugen</strong> hat mir den Weg gezeigt, den einzigen wo<br />

das Heilige nicht beschmutzt wird, die einzige Rettung der Scham, die mutige Schamlosigkeit.<br />

Edinger, auf den auch ein Nachruf, mit Bild, in der Zeitschrift steht, ist der Bruder von<br />

Eva Sommers Mutter. Schick das Heft, im übrigen möglichst ungelesen - es lohnt nicht -, nach<br />

Kassel, wenn es nicht von selber schon dorthin wandert.<br />

Liebe - Dein Franz.<br />

23.4.[18]<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, der Sonntagsbrief kam und der vom Montag, wo du mir wegen Mutter schreibst. Es<br />

ist eben trostlos und ich kann nur wünschen, dass ihr die letzte Prüfung erspart bleibt, da sie ihr<br />

sicher nicht gewachsen wäre. "Und keine Brücke führt von Mensch zu Mensch", steht irgendwo, ich<br />

weiss nicht bei wem. Sie kennt nur das traurige Entweder = oder: Gefühl oder - Selbstbeherrschung<br />

("Erziehung", "Vernunft" und wie sies noch nennt); sie ahnt nicht, dass es im Gefühl selbst noch eine<br />

Steigerung giebt, in der es nicht erstickt, sondern befreit und beseligt wird. Wie kann man ihr das<br />

sagen, und was hülfe es, wenn mans ihr sagte. Was ich früher nie recht geglaubt habe: es ist doch ein<br />

Unglück für sie gewesen, so in ihrer ahnungslosen unentwickelten Siebzehnjährigkeit von Vater<br />

weggeheiratet zu werden, und dann auch noch von jemandem wie Vater, der sie eigentlich vor jedem<br />

wirklichen Kampf und Schmerz immer beschützt hat, weil - nun eben weil ers konnte, und weil er tat<br />

was er konnte. Nun steht ihr Leben auf der schmalen Scheide des irdischen Zufalls. - Ich dachte<br />

eigentlich immer, Menschen die den Schlüssel zu der "Kammer" nicht ausgehändigt bekommen<br />

hätten, hätten ihn wohl auch nicht nötig und seien deswegen nicht unglücklich zu nennen. Aber ich<br />

soll wohl in dieser Zeit den Begriff des "Dankens" immer gründlicher kennen lernen. Wir müssen<br />

wirklich danken. - Doch damit ist den andern nicht geholfen.<br />

Übrigens sie schreibt, wenn sie erst mit allem Geschäftlichen im Trab sei und auch Zeit zum<br />

Ruhen habe, möchte sie, du kämest. - Ich denke wohl, dass das Anfang Mai sein könnte. Die<br />

Familienüberfälle en masse, die sich jetzt bei ihr abspielen, indem alle "sich sagen": "man muss doch<br />

zu Dele", fallen ihr natürlich auf die Nerven, ohne dass sie den Mut hat sie abzuweisen. Dabei ist ja<br />

jetzt Helene Ehrenberg aus Lpzg noch bei ihr, also sie noch nicht mal allein. Den Mut sich<br />

gelegentlich etwas von Familie zu emanzipieren hat sie nie gehabt. Auch das ist ein Stück ihrer

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