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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 18 of 178<br />

Verstandeskunst des Dogmas nötig, um den Zusammenhang der Welt mit Gott, des "Sohns" mit dem<br />

"Vater" zu sichern. Vom Dogma sagt Cohen mit Recht (mit geheimnisvoller Stimme und entsetzter<br />

Miene): "ich will Ihnen etwas sagen"!!! es hat noch niemand daran geglaubt!!!!!!" Aber sicher! das<br />

Dogma ist auch gar nicht dazu da, "geglaubt" zu werden; geglaubt wird Christus, das Dogma wird<br />

gewusst. Das Judentum braucht das Dogma nicht, weil es ja schon im Gefühl die Welt überspringt<br />

und sie freilich darum auch nicht besitzt. Und deshalb darf Cohen den jüdischen Monotheismus als<br />

reinen Monotheismus ansprechen.<br />

Es ist mit der Erbsünde so etwas ähnlich. Auch ungeheuer tiefsinnig als Gedanke und doch eben<br />

bloss ein Gedanke (Dogma und Gedanke ist übrigens glaube ich Ein Wort). Wie Cohen es in Worte<br />

bringt, ist es weder spezifisch Cohensch, noch spezifisch jüdisch. Denk an das Wort vom reuigen<br />

Sünder oder an Luthers viel = missverstandenes aber so gemeintes "Esto peccator et pecca fortiter",<br />

überhaupt an Luther. <strong>Gritli</strong> - es ist doch eben einfach wahr. Was hilft mir die schönste Erklärung. Sie<br />

wird sich doch immer mit andern Erklärungen schneiden. Wir müssen uns an das halten was uns<br />

über alle Erklärung hinaus gewiss ist. Es ist das Hinreissende des Cohenschen Kapitels, dass es das<br />

tut. Vielleicht hat es noch nie ein Denker getan. Vielleicht konnte es auch nur ein Jude. Denn es ist ja<br />

kein Zufall, dass das Judentum auch hier wieder kein Dogma ausgebildet hat. Wir haben ja faktisch<br />

die Erberlösung, die erbliche Gotteskindschaft. Und der Jude verwechselt immer sich selbst mit dem<br />

Menschen überhaupt (weil er ja die messianische Zeit immer wieder vorwegnimmt), und kommt so<br />

gar nicht auf den Gedanken, dass allen Menschen ausser ihm angeerbt ist nicht Abrahams Glauben<br />

und Bereischaft, sondern eigne Art und eigne Ehre. Und dass es also allen Menschen ausser ihm gilt,<br />

sich ihres Erbes zu entledigen um für Gott offen zu sein; ihm allein aber es eins ist: tiefer in sein<br />

Ererbtes hineinzuwachsen und sich Gott zu öffnen. Der Jude erlebt so das "ohne Erbsünde", das -<br />

wieder - das Dogma von Christus aussagt. Und weil Cohen des Dogmas, der Erklärungen u.s.w.<br />

unbedürftig war, deshalb hat er so sehr das Wesentliche sehen können und hat davon reden können<br />

wie noch nie ein Philosoph.<br />

56 Tage Briefsperre wäre furchtbar, auch kaum glaublich (es klingt wie 26 + 30 = März + April,<br />

so wäre das Gerücht wohl entstanden) Es würde mir gar nicht passen, dich so allein zu<br />

bombardieren; und ich muss dir doch schreiben.<br />

Vom 25ten wusste ich nicht. Zum 10. habe ich dir wohl schwerlich etwas geschrieben - das<br />

widerspräche ja der Theorie vom Schreiben und Empfangen. Aber vielleicht am 10. Hoffentlich. Sag<br />

mir, ob ich es da gewusst habe. Mit Bewusstsein freilich sicher nicht. Am 10. früh fragte mich mein<br />

einer Feldwebelleutnant - was heut für ein historischer Tag sei. Ich wusste nur, dass Kaiser Wilhelm<br />

I heut einen Tag tot gewesen sei (er starb am 9. wo infolgedessen immer Abonnementskonzert in<br />

Kassel ist, und ebenso am 22. als am Geburtstag). Darauf triumphierte der Fwlt.:Todestag der<br />

Königin Luise, Aufruf an mein Volk. So überhörte ich also die Stimme von oben; es war auch ein<br />

gar zu unwahrscheinliches Organ. - Nun, so und so bist du nun ein Vierteljahrhunder alt und wohl<br />

jetzt die gleiche Zeit erwachsen, die du Kind warst. Werde wie Tante Julie.<br />

Dein Franz.<br />

18.3.[18]

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