Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 114 of 178<br />
Orthodoxie kommendes, trotzdem grundgescheites und von richtigen Formulierungen vollgestopftes<br />
Büchelchen schicke ich dir nicht, obwohl ichs täte, wenn du allein wärest. So aber habe ich eine<br />
Scheu. Ich könnte dir sagen und schicken, was <strong>Eugen</strong> nicht haben soll, aber nicht, was er nicht haben<br />
kann. So ists vielleicht etwas zu scharf gesagt, aber doch, so etwas ähnliches ist es. Es sind eben<br />
Worte.<br />
- Ohne Worte –<br />
Dein.<br />
5.9.18<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, mein leichtsinniger Optimismus ist also im Recht gewesen; ich hatte es mir<br />
sonderbarer Weise nicht anders vorstellen können. Mutter schreibt mir inzwischen, Ihr kämet<br />
vielleicht jetzt noch nicht nach Kassel; aber ich schreibe doch weiter über Kassel, denn in Heidelberg<br />
seid ihr ja bis der Brief ankommt doch sicher nicht mehr und nachgeschickt wird von der Terrasse 1<br />
sicher zuverlässiger als vom Viktoria = Hotel in Heidelberg. Vom Hotelstandpunkt kenne ich<br />
übrigens Heidelberg fast gar nicht, ausser von Hansens Hochzeit her, dieser grossen Komödie. - Der<br />
Säckinger Zensor hat sicher viel Mühe an meiner Handschrift und den zahlreichen raffiniert<br />
versteckten politisch = strategischen Anspielungen. Nun, jetzt lassen wir ihm auf lange Ruhe. - Du<br />
hast von Frau Cohen gehört. Der Wohnungswechsel hat mich auch von Anfang an erschrocken. Und<br />
sie tut mir sehr leid. Und dennoch nehme ich ihr diesen Zusammenbruch übel. Oder eigentlich nicht<br />
ihr, sondern ihm. Wie ich auch an Mutters Zusammenknicken nach den ersten Tagen Vater Schuld<br />
gebe. Auch die ersten Tage, wo sie so gefasst war, sind ja Vaters Werk gewesen, und vielleicht das<br />
Grösste was ihm je gelungen ist. Was wirklich gross und stark in Vater war, das hat da Mutter die<br />
Kraft gegeben zu "repräsentieren", eine "Rolle zu spielen", als "seine Frau" dazustehn. Und was<br />
schwach in ihm war, das macht nun heute sie schwach, fondlos, hülflos. Das ist es doch zwischen<br />
Mann und Frau, dass man sich gegeseitig seine Kraft und seine Schwächen einflösst. Solange man<br />
zusammen ist, wird davon nach aussen nichts sichtbar. Sowie aber einer allein auftreten muss - es<br />
braucht gar nicht dies letzte rückwegslose Muss des Todes zu sein, aber das natürlich ganz besonders<br />
- dann wird sichtbar was an dem andern, dem Abwesenden, war und was die Ehe war. Du hast von<br />
Vater doch selbst empfunden, dass er im Hause nicht ganz er selbst war; nimm das "im Hause" mal<br />
eugensch intensiv, so siehst du, weshalb sie zusammenfallen musste, sowie sie sich erst wieder im<br />
Hause allein fand (und auch, weshalb sie immer wieder sich aufrichtet und stark ist - gar nicht<br />
gewaltsam, sondern ganz natürlich, aus einer inneren Quelle heraus, sowie ein "draussen" an sie<br />
heran tritt). Des einen Teils Schwäche wird des andern Teils Schwäche, und ebenso mit der Stärke.<br />
Die Ehe ist wirklich "ein grosses Geheimnis". Und so ist es auch bei Frau Cohen. Ich weiss ja da viel<br />
weniger und war mir bis jetzt meiner eigenen Wahrnehmungen nicht sicher. Aber jetzt bin ichs.<br />
Cohen hat über sie hinweggelebt mit seinem Eigentlichsten. Mit vielem Einzelnen wohl nicht, aber<br />
mit dem Eigentlichsten doch. Die Liebe hat sie das, solange sie zusammen waren, nie empfinden<br />
lassen, wahrscheinlich. Sie hat die beiden eben eingeschläfert. Diese Fremdheit von ihr zu ihm habe<br />
ich immer ganz krass empfunden, fast schmerzhaft, weil ich ja von dem Eigentlichsten und nur von<br />
dem Eigentlichsten bei ihm festgebannt war. Wie könnte es denn sonst sein, dass sie offenbar so gar<br />
nichts, gar [doppelt unterstr.] nichts von dem verspürt, was mir täglich mehr erstaunlich wird und