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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 49 of 178<br />

ihr abzureden dass sie es etwa auf eigene Kosten druckt, wozu sie bei ihrem Selbstbewusstsein wohl<br />

kommen würde. Sondern sie soll sich an Verleger wenden und einen Ehrenpunkt daraus machen,<br />

nichts zu bezahlen. Nimmt es dann doch einer, so schadet es nichts. Aber es wird es keiner nehmen.<br />

Es ist furchtbar schwer, ihr Einzelheiten zu verbessern, es ist eigentlich fast alles gleich unmöglich,<br />

das Richtige wie das Falsche. Ihre Fehler kann man ja nicht durch das wirklich Richtige ersetzen,<br />

sondern nur durch das was sie selbst bei genauerer Kenntnis für richtig halten würde, also im Grunde<br />

ersetzt man Fehler durch Fehler. Es liest sich wie etwas Uraltes und doch zugleich Schülerhaftes, so<br />

frühmittelalterlich. - Ich bin erst über die Hälfte hinaus. Gute Nacht.<br />

4.V.[18]<br />

Ich bin fertig. Es kommen ja auch ganz hübsche Sachen drin vor. Aber der Haupteindruck ist<br />

doch: Züs Bünzli geboren in Posen. Ich habe bei ihr immer so gut verstanden wie man Antisemit<br />

werden muss. Diese verzweifelte Unnatürlichkeit, die sich dabei selber höchst natürlich vorkommt<br />

und die ganze Welt mit schmalziger Milde beschulmeistert. Ich wäre sicher politischer Antisemit,<br />

wenn ich nicht Jude wäre. O Maarrrgrrett - übrigens März 15 als ich sie zuletzt sah, sprach sie immer<br />

von "Margret" und schliesslich fragte ich sie, wer das denn sei; meine Seele dachte nicht an dich -<br />

und meine Seele hatte ganz recht. Dabei nochmal: das Ding hat Qualitäten, eben die<br />

Unbekümmertheit, mit der sie höchst ungerufen zu allen Dingen ihr Sprüchlein abgiebt, ist ja<br />

eigentlich etwas Kostbares. Überhaupt ihr Censurenausteilen; sie liebt die guten Zensuren. Alle<br />

Religionen haben vortreffliche sittliche Vorschriften, manche sogar herrliche. Jesus von Nazareth<br />

kriegt die beste Note; er wird vor der Klasse gelesen und darf seinen Aufsatz ungefähr ganz vorlesen;<br />

kleine Fehler verbessert sie ihm stillschweigend, die etwas kindliche Auffassung von allen Dingen<br />

korrigiert sie sanft durch eingestreute Umdeutungen. "Lasset die Kindlein u.s.w." bedeutet ungefähr,<br />

dass der Jugend die Zukunft gehört. Das Kreuz ist schuld an der Grausamkeit der heutigen<br />

Menschheit, es wird durch den Strahlenkranz ersetzt. Dazwischen wieder wirklich Richtiges und hier<br />

und da, aber sehr selten, sogar etwas Leuchtendes. Ich habe ihr so geschrieben, wie ich vorhatte und<br />

ihr direkt den Unesma = Verlag genannt, den einzigen der mir einfiel, es giebt aber noch mehr. Sie<br />

wird sehr zufrieden sein mit meinem Brief. Ich habe meine Wut an dich ausgetobt, so dass für sie der<br />

gute Wille ihr ein bischen zu helfen frei wurde. <strong>Eugen</strong> ist doch seinen beiden Eltern gegenüber ein<br />

Wunder vom Himmel. Aber schliesslich jeder Mensch. Seine Seele erbt keiner. Sie kommt wirklich<br />

"von oben".<br />

Gertrud Bäumer schreibt in der Heimatchronik zum 6.IV. nur: "Der Tod des Philosophen<br />

Hermann Cohen am Ende eines zeitlich und geistig vollendeten Lebens deutet auf den Anteil des<br />

Idealismus an der grossen Prüfung dieser Jahre, den er, als Haupt der neukantischen Bewegung, mit<br />

hat erhalten und befestigen helfen. Klarer als jemals ist uns, wie jeder Beitrag geistiger Kraft in<br />

diesen Jahren mitgekämpft und mitgesiegt hat. Wenn das nur die Zukunft nicht vergisst über dem<br />

äusserlisch Greifbaren." Dies ist der erste Nachruf, den ich ihm noch selbst zu lesen gewünscht hätte.<br />

5.5.[18]<br />

Und prompt kam der zweite, kaum dass ich dies geschrieben hatte. D.h. den hätte er nicht selbst<br />

lesen dürfen, weil er zu wütend auf ihn war, wegen des Sätzchens über das Judentum in dem

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