Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 64 of 178<br />
Liebes liebes <strong>Gritli</strong>, das Satyrspiel der mütterlichen Ängste ist grade zwischen uns abgetan, da<br />
heisst es wieder: incipit tragoedia. Ich erschrecke aber diesmal weniger als damals im März,<br />
wenigstens weniger in meine eigene (und auch in deine) Seele hinein; ich bin mit mir selber mehr im<br />
Reinen und weiss die Ausschläge meines inneren Pendels, wie weit - und nicht weiter - sie gehen.<br />
Um <strong>Eugen</strong> selbst ist mein Schrecken freilich nicht geringer als damals; ich fühle wie ich ihn im<br />
Augenblick nicht erreichen kann. Wenn ich in mich selbst blicke, - wie ist es denn? Es ist die genaue<br />
Ergänzung zu dem, was du selber schreibst: ich habe noch nie so ohne alle Schöpfergefühle geliebt;<br />
ich habe in keinem Augenblick je bei dir das Gefühl gehabt, etwas in dir gemacht zu haben,<br />
geschweige etwas von dir; ich habe dich nur gefunden, ganz fertig, ganz "schon gemacht". Und weil<br />
du doch gemacht bist und jemand dich gemacht haben muss, so habe ich in dir deine Schöpfer<br />
geliebt, den himmlischen und den auf Erden, <strong>Eugen</strong>. In deiner "Fertigkeit" spürte ich ihr Werk, ohne<br />
von den Einzelheiten, den Tagen der Schöpfung, den "Mai" 1916, etwas zu wissen. Etwas dazu tun<br />
konnte ich nicht, mochte ich nicht. Nur mich dir zu schenken, trieb es mich. Die Worte kommen mir<br />
schwer. Wenn ich mich dir, der Geschaffenen, schenkte ohne an dir zu schaffen - und nur wen man<br />
schafft, macht man sich zu eigen -, mich dir schenkte ohne alle Eigentumsgefühle, - von dir zu mir<br />
ist es glaube ich anders. Vielleicht nicht unmittelbar; unmittelbar mag es dir mit mir ähnlich gehn<br />
wie mir mit dir. Aber mittelbar durch dich hindurch, durch deine <strong>Eugen</strong>geschaffen-heit hindurch<br />
verspüre ich die Kraft, die an mir schafft seit Jahren. Du weisst, wie <strong>Eugen</strong> an meinen Wurzeln<br />
gerissen hat; ich meine nicht das Theoretische, nicht die "Auseinandersetzung", überhaupt nicht das<br />
Sagbare, sondern seine Mensch-lichkeit. Es ist seine Menschlichkeit ohne den verwirrenden Zusatz<br />
des Auseinander-sätzigen, die auf mich überströmt, wenn deine Liebe sich mir schenkt. Du schaffst<br />
an mir, setzest <strong>Eugen</strong>s Schöpfung in mir fort, ja vollendest sie erst. Bedenk, dass ich ihm erst seit<br />
dem "Juni 17" schrankenlos glaube, ihn erst seitdem lückenlos liebe. Nein wirklich, das alles liegt so<br />
nah an den Wurzeln des Lebens, dass ich es kaum mit Worten entblössen kann. Auch vor dir nur<br />
weil du es schon weisst. Du weisst es doch?<br />
Geliebtes - Dein.<br />
3.VI.[18]<br />
Liebes, es geht nicht,ich muss dir doch noch schreiben. Ich kann es nicht leicht nehmen, dass die<br />
Welle immer wieder kommt. So wenig wie ich glaube, dass das bischen Offensive sie weiter<br />
zurückgedrängt hat als aus den Briefen. Ich kann aber so gar nicht hinüberreichen zu ihm; ich fühle<br />
mich ganz machtlos; du musst alles allein machen; ich kann dir nur mit gefalteten Händen<br />
nachsehen. Du fragst, ob ich verstehen kann? dass sie aufschäumt, die Welle - ja; dass sie "vielleicht<br />
immer wieder aufschäumen wird", nein, das kann und mag ich nicht verstehn; das darf nicht sein.<br />
Hilf ihm, dir, - mir.<br />
Es ist so sinnlos, dass ich daneben noch mal auf Mutters Tragikomödie komme; aber du fragst.<br />
Was du fragst, habe ich sie auch gefragt, brieflich, im April; ich bat sie dringend, doch einmal ihre<br />
Sorge in deutliche Worte zu fassen, dann würde sie selber sehen wie unsinnig sie wäre; aber das<br />
wollte und - konnte sie eben nicht. Es ist immer wieder das Gleiche, immer wieder die "18<br />
Jährigkeit", auch in dieser abenteuerlichen Unbestimmtheit und Unfassbarkeit der Besorgnisse. Das<br />
einzige was sie mir, noch in Kassel damals, sagte, war: du schreibst ihr Liebesbriefe; da musste ich