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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 57 of 178<br />

ers erfahren hat, darum: raus mit der Scharteke an die Frühlingsluft!<br />

Das Schreiben, wie das Lesen wohl auch, ist eine Unmöglichkeit bei diesem Geratter. Vielleicht<br />

treffe ich dich doch in Kassel? Bis dieser Brief bei dir ist, ist ja wie nein schon wieder<br />

Vergangenheit. Such is life.<br />

18.V.18 Dein Franz.<br />

[19.5.18]<br />

Lieber <strong>Eugen</strong>, von deinem Hansbriefwechsel schreibt mir auch Hans, und gleichzeitig geht es<br />

auch zwischen uns Brief auf Brief. Allerdings - ohn Verlangen, meinerseits jedenfalls ganz "ohn";<br />

und dass es seinerseits mehr als die allgemeine feldgraue Heimatskaterstimmung ist, die ihm mein<br />

Schreiben notwendig macht, glaube ich auch nicht, aber schliesslich gehören ja derartige mehr<br />

hausärztliche Betätigungen auch zur Freundschaft. Intelellektuell, "rein" intellektuell, lohnt es sich ja<br />

natürlich auch für mich; aber darauf würde ich nicht kappig sein. Im Winter 13/14 war es mir<br />

Bedürfnis; damals schrieben wir uns zu dreien (Rudi noch) über das, worüber ihr euch jetzt schreibt.<br />

Jetzt verhört er mich über das Judentum und ich stehe peinlich berührt Antwort. "Verhört" ist nicht<br />

richtig - das würde ich wohl Ernst nehmen; aber eigentlich interviewt er mich. In 13/14 hättest du<br />

auch ein rein geistiges Verhältnis zum Kirchenbegriff nicht bei ihm finden können; dass dus jetzt<br />

kannst, ist schon ein Zeichen, dass die damalige Epoche des absoluten Phil - ipsismus (in beiderlei<br />

Bedeutung) im Krieg zergangen ist. Vor der Illusion, dass er dich schon verstanden hätte, habe ich<br />

ihn neulich scharf gewarnt; er ist ja unheimlich fix dabei, sich ein Bildnis zu machen. Von der<br />

Zeitrechnung habe ich ihm erzählt, offenbar aber nicht genug, sonst könnte er sie nicht hegelianisch<br />

nennen; es ist ja die soviel ich weiss erste wirkliche Ausschaltung des Entwicklungsgedankens seit<br />

seiner Entdeckung, also grade die erste unhegelsche Geschichtsbetrachtung seit Herder. Dein<br />

Vorgänger ist Voltaire: du exemplifizierst wieder mit der Geschichte. - Von einer Rolle der<br />

Offenbarung bei einem Zusammenbruch seines Philosophierens - weiss ich gar nichts. Er sprach von<br />

einem mystischen Erlebnis aus der philipsistischen Zeit, Anfang 1912 wohl; aber dass da die<br />

Offenbarung irgend hineingebunden gewesen wäre, hatte ich nicht gewusst. Wir waren eben sehr<br />

weit auseinander, und sind es noch.<br />

Was du von unsrer Stellung zu den "Dogmen" schreibst, ist ja ganz meine Ansicht auch. Eben<br />

deshalb nenne ich das was wir machen, Patristik. Und daher meine These über die Philosophie<br />

("Parmenides (!!) bis Hegel oder wenn es denn sein muss "Nietzsche"). Denn wie könnten wir die<br />

geistige Schulleistung eines solchen sacrificii intellectus verantworten, wenn wir nicht ganz gewiss<br />

(also objektiv gewiss, d.h. durch die Geschichte gewiss) sein dürften, dass vom ungeopferten<br />

intellectus (mit einem Fremdwort: dass von der reinen Vernunft) nichts, aber auch gar nichts mehr zu<br />

erwarten ist. Dann dürfen wir opfernd denken - und weil wirs dürfen, müssen wirs.<br />

Dass er sich bei den Ketzern inscribiert, ist vielleicht bloss ein Rest. 1913 hat er sich ja deswegen<br />

nicht kirchlich trauen lassen. Ich halte grade dies für seinen jetzt wackligen Zahn, den man ihm<br />

ausziehen müsste. Er kann sich nicht als Einzelner gegen die Welttatsache setzen, dass es keine<br />

Ketzer mehr geben kann seitdem es eine Ketzerkirche giebt, also seit 1517. Insoweit er Wert darauf

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