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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 71 of 178<br />

einem so todunvertrauten unjenseitigen Leben reisst an mir, und dass es das Leben meines Vaters<br />

war, erschreckt mich. Was will Gott mit solchem Knick in der dennoch unzerreissbaren Kette der<br />

Geschlechter?? - Und dies zwischen mir und Mutter nun Gemeinsamste ist doch das tiefst Trennende<br />

zwischen ihr und mir. Sei gut zu ihr, - besser als ich sein kann.<br />

Und werde gesund - du und wir alle.<br />

20.VI.[18]<br />

Dein Franz.<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, die Post hat es bös gemeint und mir heut keinen Brief von dir gebracht, obwohl ich<br />

jetzt nach deinen Briefen barme, einerlei ob sie "lang" oder "kurz" sind - wohl weil ich im<br />

Augenblick eigentlich überhaupt kein Genüge an Briefen habe, sondern Gegenwart brauchte, und<br />

wäre es nur ein Zipfelchen. Und die Handschrift ist ja so ein Zipfelchen leibhaftiger Nähe. Sei mir<br />

nah. Ich dränge mich zu dir, - wortlos und –<br />

dein.<br />

21.VI.[18]<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, - der Bogen steht ja wieder, aber er schüttert und schwankt von innen her, - die<br />

Steine ruhen nicht fest aufeinander; der Boden bebt zwar nicht mehr aber in der Wölbung zittert es<br />

noch nach. Geduld, Geduld - wir rufen uns das Wort zu, wir brauchten es nicht immer wieder zu<br />

rufen, wenn - nun wenn Gegenwart erst wieder alles Schwankende beruhigt hätte und jedem Stein<br />

das sichre Gefühl zurückgegeben hätte, getragen [doppelt unterstr.] zu werden. Ruht denn der Bogen<br />

auf den Steinen? Ruhen nicht die Steine im Bogen? ...[Zeichnung des Bogens]. Der Bogen schläft<br />

nicht, sagen die Inder. So ist es: wenn der Bogen wach ist, können die Steine in ihm beruhigt<br />

schlafen - sie werden von ihm getragen. O ruhten wir erst wieder! in Nähe, in Getragensein, in -<br />

Gegenwart. Das ist das Zauberwort, das unsern dreifachen Bann brechen kann, das und kein andres.<br />

Mein Herz ist bei <strong>Eugen</strong>; meine Worte drängen zu ihm aber dicht vor dem Ziel prallen sie vor<br />

einem Abgrund zurück, bäumen sich und versagen den Sprung hinüber. Ein Abgrund in fast<br />

leichtsinnigem Vertrauen ins Unmögliche (und doch - in was soll man vertrauen wenn nicht ins<br />

Unmöglicht) von mir selber durch Schweigen gerissen, durch ein Schweigen der Lippen, wo ja die<br />

Seele stündlich sprach. Und doch muss der Abgrund genommen werden; der Gaul muss drüber weg,<br />

und wenn ich ihm die Flanken blutig reissen müsste. Denn auch hier fehlt nichts als das eine:<br />

Gegenwart.<br />

Für mich hoffe ich sie von dem Kassler Tag. Denk dass es das letzte Mal ja nur ein Abend und<br />

ein Morgen war, und selbst der Morgen bald von Hans E. okkupiert. Diesmal sind es zwei ganze<br />

Tage - es sollte doch sonderbar zugehn, wenn wir uns da nicht auch sprechen könnten. Sprechen,<br />

soweit es uns dann nötig sein wird - <strong>Gritli</strong>; ich habe kaum Verlangen nach Worten, nur sehen, nur -<br />

"bei dir sein". Alles andre als Kassel würde sich wahrscheinlich erst im letzten Augenblick<br />

verabreden lassen, also telegrafisch, also nur unter Erregung aller Katastrophensüchte [?]. Fest steht

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