Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 35 of 178<br />
seitdem mir schon selber alles geschrieben, ich hatte es da nur nicht so recht gemerkt, wie wahr es<br />
war. Ja, du hast Tod und Geburt noch nicht erlebt, nur das was dazwischen liegt, das Leben. der Tod<br />
bleibt unbegriffen, auch wenn man ihn erlebt hat, aber die Geburt bleibt es auch; begriffen - ergriffen<br />
wird nur das Leben. Die Sonne des Tags scheint nicht in die beiden Nächte die ihm angrenzen. Und<br />
deine Worte hatten mich geblendet, weil sie zuviel Tageslicht in ein verhangenes Zimmer trugen.<br />
Und dabei - wie ists denn anders möglich! Ich weiss ja noch genau, was mich am 19ten ausgefüllt<br />
hat; es giebt wohl Ferngefühle von Leben zu Leben, aber keine von Leben zu Tode. Während ich mit<br />
dir durch Inferno Purgatorio Paradiso ging, sass Mutter bei Vater - .<br />
Verzeih wenn ich zu dir aus dem Dunklen ins Helle spreche; wir müssen uns einander geben wie<br />
wir sind, sonst geben wir nicht uns selbst. Ich bin traurig, heute besonders, denn ich sitze wieder in<br />
dem gleichen Raum mit dem gleichen Blick durch die Tür auf die Ebene wie an dem Tag wo ich die<br />
Nachricht bekam, es ist wieder alles genau so und auch wieder so unbegreiflich wie damals. Es ist<br />
hier auch besonders schlimm, so weit von allem weg. Zuhause konnte ich zugreifen, auch im<br />
Geschäftlichen, auch versuchen den Akademieplan über den schweren Doppelschlag<br />
hinüberzuretten, ich telefonierte täglich mit Bradt, war am 3. bei ihm in Berlin, - Cohen habe ich<br />
nicht mehr gesehn -, etwas wird wohl sicher werden, ob das Richtige ist mir zweifelhaft. Hier bin ich<br />
nun wieder ausser Reichweite; vorher habe ich das nicht so empfunden, eben weil Vater da war - da<br />
konnte ich ganz gut im Hintergrund bleiben.<br />
Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dir auf allerlei in deinen Briefen zu antworten. Das hol<br />
ich noch nach.<br />
Auch meine unteroffizierliche Kümmerlichkeit drückt mich jetzt, zum ersten Mal. Ich hatte eben<br />
auch da unbewusst auf Vater abgeladen und mir die Wurstigkeit geleistet.<br />
Weisst du, dass von deinen Bildern zum Gespenstervertreiben das ganz kleine (mit dem<br />
fehlenden Untergestell) am besten taugt. Vielleicht weil es reine Momentaufnahme ist. Zwischen<br />
Moment und Monument giebt es eben nichts dazwischen. Oder vielmehr, was dazwischen liegt, ist<br />
"Photographie". Die Geschichte der Jonasschen Zeichnung? Ich las damals die Bibel, hebräisch und<br />
zwecks Vollständigkeit, und an jenem Nachmittag die Psalmen vom ersten bis zum letzten; Jonas<br />
wusste nichts davon; er ist während des Malens völlig in Trance und wusste wohl überhaupt nicht,<br />
dass ich Franz heisse, in einem Buch las u.s.w. So ist es eine von beiden Seiten ganz unbeabsichtigte<br />
(ich hatte mich zum Gemaltwerden nur hergegeben unter der Bedingung dass ich lesen dürfte, und es<br />
war die erste Sitzung) Illustration geworden. Während des Kriegs hat die theol. Fakultät der Univ.<br />
Berlin eine Preisaufgabe gestellt: das Ich in den Psalmen, - da müsste ihr eigentlich Jonas dieses<br />
Blatt einschicken. -<br />
Ich bekam einen Schrecken, dass du Greda mit Globus behelligen willst; mit Ungedrucktem<br />
überfällt man keine Fremden; wenn dus nicht schon getan hast, so lass es bitte. Auf dich und Globus<br />
bin ich etwas neugierig, nur etwas.<br />
Ob "man" sich einen raschen unerwarteten Tod wünscht? Ich nicht. Ich wünsche ihn mir<br />
langsam, Schritt für Schritt; ich möchte das Sterben erleben. Aber wünschen gilt ja nicht. Vater hätte