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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 149 of 178<br />

Christ unter den Bolschewikis? warum nicht dann den natürlichen Weg zu den Gegenrevolutionären,<br />

die sich doch bald irgendwo organisieren werden. Ein Gefühlsmo-narchist kann nun eben mal nicht<br />

unter die Republikaner gehen und ein Kriegerischer nicht unter die Pazifizisten. Und das Leben ist<br />

schon nicht so gradewegs; muss man sich da selber noch künstlich in schiefe Stellungen bringen. Er<br />

soll, wenn es denn sein muss, sein Es lebe der König nicht erst in seinem 5ten, sondern ruhig schon<br />

in seinem 1ten politischen Akt sagen. Ich wollte, er führe, wenn das jetzt noch geht, nach München,<br />

wirklich. Ich glaube noch nicht recht (trotz Heims Mittuen) an die Republikanisierung der<br />

oberbayrischen Bauern. Aber mehr als an <strong>Eugen</strong> und an alles muss ich wieder an den Kaiser denken<br />

und an seinen furchtbaren kümmerlichen Abgang - und er hatte soviel Sinn für schöne Abgänge und<br />

dergl. Neben dem Geist war früher eine Zeitungsredaktion; dort auf der Schwelle stehend habe ich in<br />

der Wahlnacht 1907 (der Blockwahl) zum ersten Mal das Volk - ich stand mit dem Gesicht zu ihm<br />

hin - als die 1000köpfige Bestie mit Augen gesehen. Nun wohne ich mit dem gleichen Blick heraus.<br />

Allerdings spielt sich sonderbarerweise bisher nichts auf dem Münsterplatz ab. - Ich glaube kaum,<br />

dass unser Kurs noch zu hohen Jahren vielmehr Tagen kommt. Wenn dann sich alles auflöst,<br />

versuche ich natürlich, nach Kassel zu Mutter zu fahren. Wäre nur mein Zivilanzug erst hier; das<br />

wäre eine grosse Erleichterung . - Mit Kähler lebe ich sehr merkwürdig. Ich liebe ihn doch noch<br />

immer. Und er kennt mich noch immer miss. Dabei sind wir grundsätzlich erst jetzt Gegner<br />

geworden, ganz anders als damals. - Der 2.XI.? wann ist denn in Tagen nichts passiert? ?<br />

Ich schreibe bei Herrn Mündel und er will aufhören und so muss ich auch aufhören. Es ist ja auch<br />

gleich; es geht so immer weiter und im Grunde schreibe ich dir ja nur einen einzigen langen Brief<br />

und die Über= und Unterschriften sind nur Kommas darin. Sie sind auch gleich untereinander wie<br />

Kommas. Nichtwahr?<br />

Immer gleich - Dein.<br />

[10.11.18]<br />

Liebes <strong>Gritli</strong> liebes <strong>Gritli</strong>, nachher schreibe ich dir noch richtig, aber ich muss dir gleich<br />

schreiben, was mir geschehen ist, mitten in diesem Zusammensturz. Ich war heut den ganzen<br />

Nachmittag mit Kähler zusammen und wir sind uns wieder nah gekommen, besser als früher; es ging<br />

die ganzen Tage schon, d'antico amor senti la gran potenza, und er wohl auch und heut war es so,<br />

dass wir uns an den Armen hatten und uns wieder mit Leib und Seele nah waren; es ist noch ein<br />

Anfang, aber die Wunde die ich noch immer offen an mir trug ist zugeheilt; wie immer<br />

- die Wunde heilt der Speer nur der sie schlug. Und nun muss es jetzt oder später einmal<br />

weitergehn. Ich bin glücklich in dem grossen Unglück. Ich musste es jemandem sagen, ihm selbst<br />

konnte ich es ja nur halb und verworren sagen, und das Papier ist nun dumm, aber es geht zu dir und<br />

du löst die Buchstaben vom Papier und machst sie zu Worten und hörst sie in deinem Herzen, liebes<br />

<strong>Gritli</strong>.<br />

Ich will nun sehen bald nach Kassel zu kommen; vielleicht kann ich Mutter doch etwas helfen in<br />

der nächsten Zeit. Diese Nacht hatte ich einen sonderbaren Traum. Vater hatte "Urlaub" vom Tod<br />

bekommen - so hiess es wirklich - , er war wie lebendig und es war ganz nett, eben wie im Urlaub,<br />

wo man doch weiss, wenn der Urlaub alle ist muss er wieder zurück. Er war wenig verändert, nur

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