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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 131 of 178<br />

oder sags auch nicht ----<br />

Dein Franz.<br />

6.10.18<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, es ist noch nicht ganz sicher, ob wir, speziell ob ich, weiter komme. Vielleicht<br />

werde ich auch schon hier entlassen. Die Friedensaussichten drücken weiter auf mir, ganz anders wie<br />

letzten [gestr. Sept] Dezember, wo schon das schwache Frühlingslüftchen mich so warm anblies.<br />

Wie anders war damals Deutschlands Lage und Aussicht. In einem Sommer ist das alles verspielt!<br />

Ich dürfte ja eigentlich nach meiner eignen Theorie mich gar nicht persönlich darüber aufregen, aber<br />

es geht mir nun doch so, unprogrammgemäss. Ich fange morgens so früh wie möglich, wenn es eben<br />

dämmert, zu schreiben an, weil ich nachher, wenn Zeitungen da sind, mich nicht mehr recht<br />

konzentrieren kann. (Dazu habe ich allerdings auch einen kleinen Schnupfen; erst heute wird geheizt<br />

und es regnet hier und ist gar nicht südliches sondern ganz mitteleuropäisches Klima. "Mitteleuropa"<br />

- das ist nun alles vorbei. Die Entente verwirklicht ihr Programm Punkt für Punkt, einschliesslich der<br />

"Demokratisierung"! Und dazu noch das schrankenlose Vergnügen der Leute die mit mir liegen,<br />

wenn sie die Zeitung lesen (lauter Deutsche!). Von der Demokratisierung verstehen sie nur, dass jetzt<br />

die "Leute, die Grossen, die sich bisher am grünen Tisch vollgefressen und =gesoffen haben, nun<br />

herunter müssen, und auch einmal merken wie es tut". (wörtlich!) Dabei geben sie ganz zynisch zu,<br />

sie würden es "auch" getan haben, wenn sie "oben" gesessen hätten. "Auch"! - Ich halte zwar nicht<br />

den Mund, aber im Grunde fresse ichs doch in mich hinein. [gestr. Dein Franz] Ich verlange sehr<br />

nach Aussprache oder nach meinen Postsachen - einerlei; so ist es mir beinahe gleich, ob ich nach<br />

Deutschland komme oder zur Truppe. Aber nun wirklich und undurchgestrichen<br />

Dein Franz.<br />

7.10.18<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, es ist später wie sonst geworden, ich habe den ganzen Tag an der Einleitung<br />

geschrieben; sie ist jetzt in der Partie, wo ich selber neugierig bin, was herauskommt. Sie wird wohl<br />

besser als die erste, leidet aber natürlich auch an dem gleichen Fehler, dass sie vorwegnehmen muss,<br />

was erst nachher im Teil selbst ausgeführt wird.<br />

Heut abend sah ich mich auch zum ersten Mal in Ruhe im Spiegel an seit die "schönen Haare"<br />

gefallen sind. Sie sind noch nicht wieder gewachsen und ich habe mir meine Kopfform genau<br />

betrachtet und war sehr zufrieden; es ist eine ganz ruhig und schön gewölbte freilich etwas turmhaft<br />

in die Höhe gehende Kuppel, gar nicht unruhig und drohend wie die Stirn, sondern klassisch und still<br />

- wohl das einzige an meinem Kopf, wovon man das sagen könnte (und ich bin bald 32 Jahre alt<br />

geworden, ohne es zu wissen!) ( ' , ) (das müsstest du übersetzen<br />

können, es ist von Solon, ein Pentameter). - Der Prinz von Baden redet schön, aber was hilfts - die<br />

Leute mit dem "Zug um den Mund" sind nun obenan, und im Grunde hatte auch Maxens Rede ihn<br />

(Bethmanns, auch wenn er pazifizistelte, nie). Ich muss jetzt immer an die Komödie von Gespräch<br />

denken, die ich am letzten Leipziger Tag mit Hermann Michel hatte. Ich sagte ihm damals, er sei<br />

einer der brutalsten Machtpolitiker, die mir bisher vorgekommen wären, nur freilich im Sinne der

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