Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 101 of 178<br />
- "Auf morgen"<br />
Dein Franz.<br />
26.VIII.18<br />
Lieber <strong>Eugen</strong>, ich las dein Antiastrologikum noch gestern Abend zwischen Sonnenunter= und<br />
Mondaufgang, also unter der Alleinherrschaft der Sterne. Das passt ja auch dazu, denn ganz<br />
wesentlich handelst du nur von Amerika; vom Halbmond eigentlich nur wegen des<br />
Kreuzzugsvergleichs; und von der aufgehenden Sonne einfach zu wenig. Das ist also gleich meine<br />
Kritik. (Geschrieben ist es glänzend, grösstenteils sogar "reif" und trotzdem gut.) - Japan sebst ist<br />
wohl wirklich uninteressant, aber ganz Ostasien hängt ja daran. Und die Sonne ist doch viel mehr als<br />
der Mond, und jedenfalls der einzig ebenbürtige Widerpart für des Kreuz. Mit dem Mond giebt es,<br />
wie übriegens die Erfahrung [scheint gestr.] zeigt, keinen echten Kampf; Mond und Kreuz<br />
konkurrieren; sie kämpfen nicht miteinander. Oder: sie kämpfen nicht ums Leben, sondern um die<br />
Beute. (Und der Mond ist dabei der stärkere, weil er der Nachahmer ist und sich dem<br />
Publikumsgeschmack anpasst.) Der Nachahmer ist keine gute Vorbereitung auf das Original; im<br />
Gegenteil er verdirbt den Sinn und Geschmack dafür ziemlich hoffnungslos. Der grosse Kampf steht<br />
dem Kreuz mit dem echten lebendigen Heidentum des fernen Ostens bevor. - Nicht ganz (aber halb)<br />
überzeugend war mir der scharfe Strich zwischen Amerika und England; du weisst da wohl Sachen<br />
die ich nicht weiss. - Litterarisch schlecht ist die Schlusskadenz. Sie klingt nur überzeugt, nicht<br />
überzeugend. - Beim Islam stimmen Einzelheiten nicht; die Gesamtansicht natürlich stimmt. Der<br />
Islam hat für alles Ersatz, auch für den Geist (Theorie der "Imami", und des ausgeschlossenen<br />
Irrtums der Gesamtgemeinde). Muhamedaner ist missverstehende Benennung seitens {des<br />
aufgeklärten wohl erst?} Europas. Die Selbstbezeichnung Muslim ist viel charakteristischer: die<br />
einzige Religion, die ihren "Zweck" schon im Namen ausdrückt - wie eine Firma oder ein Verein.<br />
(Überhaupt sind die Anfänge des Islam wie eine Vereinsgründung in einer modernen Bohème -<br />
Grossstadt).<br />
Mir war merkwürdig, dass dein "Natur und Geist" noch antinatürlicher ausgefallen ist als<br />
meins. Das war mir ganz unerwartet. Ich hatte ja meins in Auseinandersetzung mit dir geschrieben.<br />
Und nun bist du mir mehr entgegengekommen als ich wünschte. Ich glaube wirklich, etwas zu weit.<br />
Auf älteren Kreuzigungen, noch bis zu Dürer werden ja Mond und Sonne mitdargestellt. Und das<br />
Christentum nimmt ja stets von seinen Besiegten Gesetze an. So ist auch Amerika grade wenn es<br />
besiegt werden wird, schon die Bürgschaft für eine künftige Form des Christentums, die man ja<br />
kaum voraussagen kann, aber die trotzdem kommen wird. Das ist das Richtige an dem amerikan.<br />
Gefühl der Überlegenheit. Die Sterne werden also nicht vom Himmel fallen, sondern sich um das<br />
Kreuz gruppieren. Die Natur ist eben immer schon da, wenn der Geist angelaufen kommt (wie in<br />
dem unerschöpflichen Märchen vom Has und vom Swinegel); aber der Geist muss eben deshalb<br />
"sich strecken" zum Lauf immer aufs neue, damit er immer aufs neue das "Ik bün all da" der Natur<br />
hören kann - liefe er nicht, so würde ers nie zu hören kriegen. Dies ist das Geheimnis des<br />
Verhältnisses von Schöpfung und Offenbarung, dass sie in jedem Augenblick zusammenwirken<br />
müssen, beide - damit die Erlösung kommt. Damit wäre ich von dir wieder zu mir gekommen; ich<br />
sitze grade wieder bis über die Ohren in den Gedanken meines Briefs an Rudi vom vorigen