Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 58 of 178<br />
legt zu ketzern, ist er eben einfach Protestant, so wie er darin dass er die Kirche wenigstens als<br />
geistiges Problem gelten lässt, Katholik ist - beides unbeschadet dass er als Mensch seiner Zeit, als<br />
vorwärtsgehender Denker weder Prot. noch Kath. sondern eben Christ seiner Zeit, Johanneiker ist.<br />
Das Alte vergeht ja nicht. Innerhalb der Offenbarung ist alles, was ist, unsterblich. Den Tod giebt es<br />
nur ausserhalb der Offenbarung; dort giebt es nur die Unsterblichkeit des Natürlichen, das<br />
Immerwiederkehren in neuen Gestalten, neuen Zusammensetzungen. Aber in der Offenbarung ist die<br />
Gestalt selbst unsterblich. Die Antike ist ihre jeweils zeitgemässe Renaissance; wer sie selber sehen<br />
will - ein müssiges Vergnügen! - muss Philologe werden, ad fontes gehn. Wer aber den Papst sehen<br />
will, muss nach Rom reisen, zu Benedict dem Jetzigen, nicht zu Clemens oder Damian den ersten.<br />
Also dies der Grund, weshalb ich Hansens Ketzertum nicht ernst nehme, sondern nur als einen<br />
verfehlten Ausdrucksversuch dafür, dass er das Gefühl hat noch kein Christ zu sein. Da dieses<br />
"noch" zu denken sein ungebeugter Nacken verweigert, so deutet er das Gefühl in eine Endgültigkeit<br />
um, und nennt sich Ketzer. Und wenn man nicht wüsste, dass es keine Ketzer mehr giebt, so würde<br />
man darauf reinfallen können. So aber nicht.<br />
Rudi: San. komp. 210 (210), Dt. Fp. 1005. - Er ist Professor geworden! - Über die<br />
Unpersönlichkeit habe ich Hans wohl gleichzeitig mit dir Sottisen gesagt! (Wie immer). -<br />
Dein Franz.<br />
[2I.? V.18]<br />
Liebes leibhaftiges <strong>Gritli</strong>, - denn das bist du nun wieder; ich habe gar nicht gewusst, wie sehr ich<br />
mich nach dir gesehnt habe. Das Schreiben schafft ja eine eigene Welt mit eigenen Grenzen, eigener<br />
Bescheidung. Im wirklichen Beieinander sinken die Grenzen, und unbescheiden steigt die Flut des<br />
Glücklich= und Unglücklichseins und überflutet das Festland des Herzens. Du - Mutter will:<br />
"Schwester", aber du bist es mir so wenig wie das was die Leute im Februar wollten: "Braut". Ich<br />
müsste schon mit den Liebenden im Hohen Lied sagen: "du meine Schwester Braut" - dass ein Name<br />
den andern verneint und das Herz, zwischen beiden in der Schwebe, nur weiss dass es liebt, über<br />
alles Was und Wie, - namenlos.<br />
Geliebtes <strong>Gritli</strong> - in frischer Freude und in frischem Leid, aber in Liebe die grösser ist als beide<br />
--------------<br />
Dein Franz.<br />
22.V.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, dein Berliner Pfingstbrief - ja es war doch schön, obwohl wir uns nicht viel<br />
gesprochen haben durch den Hunnensturm des Attila = Hans E., dieser Gottesgeissel des Gedankens<br />
um 1/2 10 vormittags! so dass wir schliesslich doch auf "Gruss und Winken" verwiesen waren.<br />
In der Bahn hast du ja nun das mit dem Brief gehört. Es war ein komisches Intermezzo in<br />
einer scheusslichen Geschichte, mit der ich dich im einzelnen verschont habe, nur einmal meine ich