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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 43 of 178<br />

hat meine Seele - was will er mit meiner Politik. Denn Politik ist es, nicht etwa, wie du einwenden<br />

möchtest, visibilis. Nicht visibilis, sondern - Centrumspartei. Von meiner visibilis mehr zu wissen,<br />

soviel wie du, das hängt von ihm selber ab - von seiner Bereitschaft zu hören; ich kann doch davon<br />

nicht sprechen, solange ich noch das Gefühl habe, diskutieren zu müssen; so etwas kann man nur<br />

sagen, wenn man rein erzählen darf. Nur dies, nur dein Wissen um meine visibilis ist ein wirkliches<br />

Mehr von mir, was du gegenüber <strong>Eugen</strong> hast; deine "Versiertheit" in den Angelegenheiten der<br />

Akademie nicht. Das Eigentliche und Innere weiss er, genauer vielleicht und zusammenhängender<br />

als ich es je zu Lebzeiten öffentlich äussern werde. Du weisst ja meine sonderbare Vorstellung dass<br />

ich mein Eigenstes nur posthum sagen werde, auch wenn ich genügend lang lebe. Mein Leben wird<br />

vielleicht sehr "politisch" werden. Denn ich will es ja wirklich leben. Und mich nicht in den<br />

Literatenwinkel meiner Eigenstheit verbannen lassen. - So sehe ich das heute. Was wird, weiss ich<br />

natürlich nicht. Ich muss doch mein "Eigenstes" im Feuer des wirklichen Lebens prüfen, ob es das<br />

aushält. Und wie soll ich das, wenn ich statt eines Menschen ein Literat werde und statt der<br />

Kennmarke "Willenskraft" den "Geist" umgehängt kriege. Erst im Lehren bewährt sich das Lernen.<br />

Vgl. "Margrit <strong>Rosenstock</strong> = Hüssy, Hinterzarten 9.IV.". Glaube ich meinem Eigensten denn wirklich<br />

heute? auch hier heisst es: ich hoffe zu glauben. - Wir müssen nur wissen, dass die Angst vor dem<br />

"irdischen Gewühle" um der "herrlichen Gefühle" willen, sie möchten darin "ersticken", - dass diese<br />

Angst eben das ist, was überwunden werden will. Wir sollen "alt werden". Hat <strong>Eugen</strong> recht und ist<br />

die Starrheit, die er jetzt verspürt - er schreibt mir auch davon - wirklich mehr als ein blosses<br />

Wellental, - nun dann soll sie eben mehr sein, dann soll er eben alt werden. Dann wird ihm eben aus<br />

dieser jetzigen Depression das kommen, was ihm bisher noch fehlte: er hat produziert wie ein<br />

Vulkan, dann wird er lernen zu bauen. Um Material wird er sein Leben lang nicht in Verlegenheit<br />

sein; er hat genug ausgespien. Ich würde ihm also beinahe wünschen, dass er recht hätte; aber wissen<br />

kann man es nicht; er war wohl immer besonders verwöhnt mit lebendigen Zeiten. Rudi etwa hatte<br />

den Eindruck, als ob man ihm gar nichts geben könnte, und hatte z.B. ihn bei dem Rundreiseplan<br />

seines Predigtexemplars deswegen ausgelassen! Du fragst nach Rudi. Er hat oft solche Zeiten gehabt,<br />

im Krieg mehr als 3 Jahre bis in diesen Winter, ja bis Montmedy. Ich selber bin für mich besonders<br />

gleichmütig hierin, weil ich den ganzen Schrecken dieses Zustands vorweg erlebt habe, vor dem<br />

andern. Ich habe mich von meinem 15. Jahr etwa bis zu meinem 20ten oder länger in dieser Hölle<br />

befunden und seitdem lache ich darüber, denn ich weiss, dass einem die "selbsteigne Pein" da nichts<br />

hilft und man solche Zeiten eben so gut hinbringen muss wie es geht - dafür sind die dicken Bücher<br />

geschrieben, dass man sie in solchen Zeiten liest (versteht freilich erst in der nächsten wachen Zeit).<br />

Aber wie gesagt, bei <strong>Eugen</strong> ist es vielleicht wirklich mehr und dann sicher etwas Gutes, obwohl er<br />

sich noch sperrt. An dem ungelegten politischen Ei liegt es nicht. Da ers nicht anonym wollte, war es<br />

die "Carriere" nicht wert, falls es die wirklich gekocht hätte. Wer legt denn jetzt überhaupt alle seine<br />

Eier? Und der Mangel an Selbstkritik (an Bauenkönnen statt Speien müsste) hätte ihn grade mit<br />

dieser Veröffentlichung in ganz schiefe Verbindungen gedrängt. Ich habe jetzt die Lichnowskische<br />

Denkschrift gelesen und bin nachträglich entsetzt wie der Reiter übern Bodensee von der Perspektive<br />

<strong>Eugen</strong> = v.Burfelde. Was hat er mit diesem Diplomatenpazifizismus, diesem ancien régime mit<br />

umgekehrten Vorzeichen, zu schaffen. Dann schon eher <strong>Eugen</strong> = Förster. Vor den<br />

Lichnowski-abhängigen Berliner Unäbhängigen hätte er instinktiv scheuen müssen. - Will ers<br />

anonym, so bin ich noch heute für die Veröffentlichung; denn wertvoll genug war das Büchlein<br />

schon so. Aber er wird nicht wollen, obwohl der "Krieg" ja dies wie vieles "entschuldigt". - Aber

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