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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 59 of 178<br />

habe ich dir davon geschrieben. Dass es auch in dem einen Brief von M. stand den ich dir gab<br />

wusste ich nicht mehr, ich habe es nun wieder gelesen. Der Brief vom 18. war ganz voll davon.<br />

Mutter u. Vater haben den letzten Tag und die letzte Nacht fast nur davon gesprochen! Dann ging es<br />

durch die 8 Tage die ich in Kassel war. Ich bin auch da ganz machtlos gewesen. Meine Mutter ist ein<br />

Kind von 18 Jahren geblieben; ihre Wünsche wie ihre Sorgen sind nie erwachsen geworden. Dieses<br />

starre und unreife Misstrauen durfte ich auch nicht zerstreuen durch das einzige wodurch es hätte<br />

zerstreut werden können, wenn es nicht starr und unreif gewesen wäre: durch rücksichtlose Offenheit<br />

bis zur Indiskretion. Bei Trudchen ging das; ich habe ihr da ich meine Briefe nicht mehr hatte deine<br />

gezeigt oder vielmehr sie mit ihr gelesen (mit Ausnahme derer wo von <strong>Eugen</strong> drin stand). Trudchen<br />

hat eben die Kraft, glauben zu können. Mutter, Vaters Frau, hat kein Fünkchen von dieser Kraft.<br />

Dann kam das Leipziger Telefongespräch. Ich merkte dass sie den Brief nicht bloss aufgemacht<br />

sondern auch gelesen hatte und sagte ihr also, kopfüber und auch weil ich wusste, dass jeder Brief<br />

von dir ihr Misstrauen enttäuschen musste (obwohl ich ihr wegen dieses Misstrauens nie einen<br />

zeigen gekonnt hätte, auch diesen nicht), also ich sagte ihr, sie möchte ihn mir vorlesen. Edith u.<br />

Hanna waren gar dabei! Ich dachte, nun wäre sie wenigstens beruhigt. Aber Trudchen sagte mir jetzt,<br />

sie hätte ihr bloss gesagt, wie sies ihr erzählt hätte: "Franz hat Glück gehabt" (nämlich dass es grade<br />

zufällig ein "harmloser" Brief gewesen sei). So wie sie auch Trudchen, als die ihr sagte, sie versichre<br />

sie, sie könne sich beruhigen sie habe von mir die Briefe gezeigt bekommen, erwiderte: "ja,<br />

vorgelesen mit Auslassungen, nichtwahr? das kann man natürlich". Also du siehst, es ist ganz<br />

hoffnungslos; es ist überdies dadurch dass es ihre u. Vaters letzte gemeinsame Sorge war, für sie<br />

kanonisiert. Hoffentlich quält sie nicht dich damit. Es hülfe nichts, wenn du versuchtest mit ihr zu<br />

reden; du müsstest einen andren Menschen aus ihr machen; ich will es nicht verreden, dass du das<br />

nicht könntest, - das soll man nie; es giebt nichts Unmögliches - aber keinesfalls könntest dus grade<br />

hier wo du "pro domo" zu sprechen schienest. Es ist ja nur ein Symptom ihrer Lebensunreife<br />

überhaupt. Sie hat dich dabei in ihrer Weise wirklich lieb, obwohl sie nur wenig von dir kennt (und<br />

glaubt es wäre alles); das verstehe ich ganz gut; ich habe auch schon diese ihr zugängliche "Schicht"<br />

deines Wesens lieb aber freilich -. Jetzt hatte sie wirkliche Sehnsucht nach dir, eben nach ihrem<br />

<strong>Gritli</strong>. Das muss dir wohl genügen - . Ich habe dir ungern davon geschrieben, wohl aus ähnlichem<br />

Gefühl heraus wie auch du mir von Trudchens erstem Brief nichts geschrieben hattest. Auch jetzt ist<br />

es mir schwer gefallen, aber es ist wohl besser, du weisst was ich weiss.<br />

O diese Unbeteiligten! Ich musste jeden Morgen lachen wenn unter den Margeriten vor meinem<br />

Unterstand der Klatschmohn, der später mit seiner Morgentoilette fertig wird, als die Margeriten,<br />

sein Rot = rot zu schreien anfing. -<br />

Aber du siehst, so ganz leicht wie du in deinem Brief meinst, ist Kassel im Gegensatz zu Jena<br />

gar nicht für dich. Ja wenn du es als Aufgabe nehmen könntest, sogar viel schwerer, nämlich<br />

unlösbar. Aber nimms nicht als Aufgabe. Tu ihr gut, mit dem was ihr von dir spürbar ist: mit deinen<br />

weichen Händen und deinem geöffneten Ohr. Sie ist gewiss bloss ein grosses Kind - aber Kinder hat<br />

man doch lieb; und das Kaputte an ihr will gestreichelt sein.<br />

Ob du, ob ich, ob irgend jemand dem Herzen trauen kann? <strong>Gritli</strong>, wenn ich das wüsste oder<br />

du oder irgend jemand es wüsste, so wären wir nicht ich und du und irgend jemand, - keine<br />

Menschen. Das Leben ist eine Hochtour, einen schmalen Sattel in die Höhe, rechts und links und

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