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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 157 of 178<br />

gekostet; die Revolution drückt nur das Siegel darunter. Nun bleibt uns nichts als das Zeitlose. Pichts<br />

Worte haben ihn mir näher gebracht als er mir bisher war. Er sieht den gleichen Welt = Untergang<br />

wie wir und weiss doch auch dass es nicht das Welt = Ende ist. Zum Sichnahefühlen gehört ja mehr<br />

als das Wissen um das gleiche Verhältnis zum lieben Gott; es gehört ein Stück gemeinsame Welt<br />

dazu, und das hatte ich noch nie bei ihm gespürt, bis auf diesen Satz. "Und wies Pferd konnte,<br />

sturbs" - wie die gemeinsame Welt da war, da war sie kaputt. Er weiss das "Nie wieder" dieser Welt<br />

und rechnet nicht wie der gute J.Cohn mit "10 Jahren in der Oppositon".<br />

Und zu alledem das deutsche Volk, fröhlich wie Herr Sauerbrod bei Busch:<br />

Heissa, sagte Sauerbrod,<br />

Heissa, meine Frau ist tot.<br />

Ist etwa Buschs Knopp = Trilogie auch ein Gleichnis auf das deutsche Volk?<br />

Aber das deutsche Volk - giebt es jetzt nicht, aus dem einfachen Grund weil es es nie gegeben<br />

hat. Die ganze Bismarcksche Schöpfung war ein Stahlhelm, der ihm auf den Kopf gesetzt war; hätte<br />

er es geschützt, so wäre es wohl allmählich so dran gewohnt worden, dass es ihn nicht mehr hätte<br />

absetzen mögen, so aber warf er das schwere Ding mit Heissa in die Ecke. 1871 hätte sich 1914-18<br />

bewähren müssen, an sich war es nur eine künstliche Bildung. Bismarcks Deutschland war nicht der<br />

Kern des zukünftigen Reichs, der auf jeden Fall bestehen bleiben musste, sondern ein Wechsel auf<br />

dies zukünftige Reich, der nun, da dies falliert hat, ein wertloses scrap of paper geworden ist.<br />

Also ich bleibe nun noch diese Woche hier. Als Kähler mir es vorschlug, heut Mittag, nachdem<br />

ich am Morgen deinen Brief bekommen hatte, kam es mir so klar vor, dass ich glatt Ja sagte. Jetzt tut<br />

es mir doch beinahe mehr leid; ist es nicht doch besser, sich unter ekligen Umständen zu sehn, als<br />

gar nicht? ich habe rechte Sehnsucht nach dir. Vielleicht wirds morgen besser, wenn ich in II 3<br />

hineinsteige. Denn dann weiss ich doch warum ich noch hier bin. J.Cohn allein hätte mich nicht<br />

gehalten; er ist fein aber klein. Wohnen tun sie ja wieder prachtvoll. Ich habe mich übrigens schlecht<br />

benommen; ich habe noch nicht wieder das Gefühl für die zivile Akustik. Als er Kantorowicz<br />

"unsern Freund" nannte, habe ich ganz greulich geschimpft.<br />

Aber ihr seid doch sicher in einer Woche noch da? Sonst würde ich hier alles auf den Kopf<br />

stellen um doch noch zu fahren; einen Urlaubschein müsste mir dann der Abteilungsadjutant<br />

ausstellen. Mein Leben hier beruht ja auf Nichtexistenz in den Akten (dem sog. "Rapport"); aber<br />

zum Eisenbahnfahren und vor allem wegen der Verpflegung in Kassel muss man existieren. Länger<br />

wie eine Woche bleibe ich ja keinesfalls. Und vielleicht macht es auf Mutter sogar einen gewissen<br />

Eindruck, dass ich nicht komme trotz des Magneten ...[Zeichnung] den sie aufgehängt hat; daraus<br />

sieht sie doch, dass die Arbeit mir wichtig ist.<br />

Ja die "Arbeit". II 3 ist mir immer noch ziemlich dunkel. Aber II 2 ist schön geworden, eine<br />

ganze Kette von Lichtern, die einem aufgehen; es scheint mir übrigens doch länger zu sein als II 1.<br />

Nein <strong>Gritli</strong>, den Traum kann uns keine "rauhe Wirklichkeit" nehmen; ich spüre es, wie er in mir

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