Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 51 of 178<br />
wilden Berliner Westen - nichts gemerkt, sondern bezieht alles auf seine gezähmten Haustiere. Von<br />
dem "Schulfonds von 10 Millionen Mark (!)" höre ich leider schon 14 Tage lang nichts mehr und<br />
fürchte, da die Sache ja im Augenblick doch nur an dem einen Haar Bradt hängt, das ist gerissen.<br />
Mutter lässt mich ruhig zappeln, obwohl es für sie ein Telefongespräch mit Berlin bedeutete, so<br />
wüsste sie Bescheid und ich auch. Am 15. hat in Berlin eine wichtige Sitzung stattgefunden - ich<br />
weiss heute noch nichts vom Ergebnis. Ich zerreisse mich vor Ärger und Ungeduld. Soll ich denn<br />
das? Es ist ja schon mehr Eigensinn als etwas andres. Im Grunde darf es mir ganz gleichgültig sein,<br />
muss es sogar. Die Tat ist nicht das Beste, nur das Anspruchsvollste.<br />
Das Beste ist andres. Z.B. und z.B. und z.B. - Sag, bekommst du eigentlich die Christl. Welt<br />
irgendwo zu sehn? das ist auch ein guter Einhelfer ins Protestantische. Es lohnt die 3 M<br />
vierteljährlich. Oder ich könnte auch mein Exemplar an dir vorbei nachhause schicken, schon als<br />
Ausgleich für die vielen jüdischen Einlagen der letzten Zeit. Es lohnt natürlich nicht alles in jeder<br />
Nummer zu lesen, aber doch jedesmal etwas. Ich lege dir mal eine - durchschnittlich gute - bei.<br />
Ich bin weg von Gotthelfs Uli dem Knecht. Ihn mit Homer in einem Atem zu nennen, ist freilich<br />
stark und zeigt wie die Leute den Homer lesen. Er ist nur Genre, aber da unübertrefflich und neben<br />
Goethe dürfte man ihn nennen; es ist keine Zeile drin blass geworden, sondern alles ganz blank, wie<br />
eben geschrieben. Aber die Menschen darin bleiben ausserhalb, sie klettern nicht in einen hinein, das<br />
ist eben das Genrehafte. Nur das Tragische, auf deutsch: nur das Leiden und Mitleiden überwindet<br />
das ewige blosse Ausserhalb, bei dem sich das Auge gern zufrieden giebt. Und ins Tragische<br />
wachsen diese Menschen nicht. Wie es Achill zu mute ist weiss ich, bei Uli sehe ichs nur. Und<br />
wissen ist mehr als sehen.<br />
8.V.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, neulich schriebst du mal, Greda machte ihr Kind fromm ohne es selbst zu sein.<br />
Weisst du, dass das früher eine ganz allgemeine Erziehungsregel gewesen sein muss? Bei Greda ist<br />
es ja sicher etwas andres, schon durch den Mann. Aber z.B. ich bin von meinen Eltern zu<br />
Abendgebet (gereimt natürlich und allgemein menschlich, also wohl fröbelsch oder so) angehalten<br />
worden und habe es auch gern getan. Die Motive sind mir heute nicht klar, ob bloss wegen des<br />
"rührenden Bildes" oder zur Erziehungs-erleichterung oder aus so einer Art Anwendung des<br />
"biogenetischen Grundgesetzes" von der Wiederholung der Gattungsstufen in der Einzelentwicklung<br />
- non so. Es giebt ja überhaupt nichts Unbegreiflicheres als die eigene "Erziehung" und was daraus<br />
geworden ist. Die entscheidenden Erfahrungen machen Kinder doch auch schon im frühsten Alter<br />
grade dann wenn die Eltern gar nicht daran denken. Ich glaube für Echtes und Unechtes hat man nie<br />
so ein scharfes totsicheres Unterschei-dungsvermögen wie damals. Ich bin glaube ich nie auf die Idee<br />
gekommen, das was ich bei Onkel Adam sah und die übliche Assistenz meiner Eltern bei meinem<br />
Abendgebet auch nur für entfernt verwandte Dinge zu halten. Dabei fällt mir übrigens ein: du hattest<br />
meinen Brief an Sommers mitentführt. Hoffentlich nicht, um ihn <strong>Eugen</strong> zu zeigen? Das täte mir leid;<br />
er ist ja trotz des scheinbaren Eingehens auf Persönliches, in Wirklichkeit doch ganz exoterisch [?];<br />
ich hatte ihn gradezu mit auch zur Beruhigung meiner Eltern geschrieben und dass die ihn<br />
gelegentlich entsetzten Familiengliedern x) vorzeigen könnten. Das ist <strong>Eugen</strong> doch nicht!