Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 158 of 178<br />
weiterlebt, als wäre es kein Traum, sondern ein Stück von mir. Und ist es das nicht auch? Ich lebe<br />
davon. Und überhaupt von dir. Alle Worte sind dumm und stumm.<br />
Nimm mich an dein Herz ------<br />
17.XI.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, einen Tag kriege ich nur Post von dir, einen Tag von Mutter - geh du zur Linken<br />
und du zur Rechten - was soll Feindschaft sein zwischen meinen Briefen und deinen Briefen. Heut<br />
nur von Mutter. - Ich bin antelefonabel, für etwa eilige Fälle. Nr.362. Heut Abend gehe ich nochmal<br />
zu Cohn; ich fürchte mich vor meinem eigenen Benehmen. Mit II 3 war es nur ein sachtes Anfangen<br />
heute, aber immer doch ein Anfangen; ich schreibe ja am ersten Tag immer nur wenig.<br />
Heut um 11 zogen Freiburger Truppen ein, mit Musik. Es war ganz furchtbar, nicht das<br />
einzelne, nicht das was man wirklich sah; aber es sprang einem so ins Gefühl, wie das hätte werden<br />
müssen und wie es nun geworden ist. Was man so sieht, ist immer noch viel umreissender als was<br />
man weiss. Ich verkroch mich in einen finstern Hausflur, vor dem ich grade stand, und habe geheult,<br />
bis sie vorüber waren. Dann frass ich im Automatenrestaurant vier Lebkuchen und dann war ich<br />
wieder einigermassen in Form, ging ins Hotel und schrieb den Anfang von II 3. Nachmittags war ich<br />
wieder wie immer mit Kähler. Er hat jetzt <strong>Eugen</strong>s Amerika gelesen und starken Eindruck davon.<br />
Gegen das InderNaturnichtvorkommen der Kreuzform führte er die sich kreuzenden Spuren an. Aber<br />
das sponte se movere der Tiere ist ja wirklich schon der Bruch mit der Natur.<br />
Ich lebe doch nun wieder wirklich in Freiburg und suche nach und nach wieder die alten Orte<br />
und Wege auf, und begegne mir überall, doch eigentlich wie einem Fremden. Das Ende mit Kähler<br />
damals und der Weggang von Freiburg war wirklich Ende und Weggang.Und so ist es ganz wirklich<br />
und wahrhaftig, dass ich mich jetzt mit Kähler grade in Freiburg wiederfinden musste.<br />
Ich bin gern hier; aber es gehört doch dazu, dass diese Tage nur ein Aufschub sind. Ich möchte<br />
dich einfach wieder sehen und mit dir im gleichen Zimmer sein - du brauchst gar nichts zu sprechen.<br />
In einer Woche also. So kann es ja gar nicht verdorben werden. Denk doch, es ist uns noch nie<br />
verdorben. Und mit Mutter ist es ja ganz gleich; sie ist eifersüchtig, wenn ich allein da bin und du<br />
mit da bist,und wenn du allein da bist.<br />
Hier ist so ein reizender alter Herr, der im Geist gegen 1/2 11 immer sein Viertel trinkt und ein<br />
Frühstücksbrot dazu isst. Als ihm heut jemand sagte, dass nur wir die Gefangenen herausgeben<br />
müssten, meinte er: "Aber das hätte man doch nicht bewilligen sollen" (mit dem Ton auf dem<br />
"bewilligen"). Und nachher: wir sind doch nicht besiegt, wir ziehen uns doch bloss zurück. - Ist<br />
Deutschland nicht rührend? Die Süddtsch. Monatshefte schrieben, noch vor dem Sturz, die<br />
Deutschen meinten, beim Abschluss müssten ihnen ihre früheren Siege angerechnet werden wie<br />
einem Schüler, der am Ende des Vierteljahrs einmal ein Extemporale verbaut hat, die früheren guten.<br />
Diese schüler= und lehrerhafte Auffassung des grauenhaft unschulmässigen Lebens ist ja auch<br />
Militarismus. Dem Militarismus ist ja auch wohler auf dem Kasernenhof als im Feld.<br />
Kähler kannte Breitscheid aus seiner Freiburger Zeit von vor 10 Jahren und hatte üble