Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 159 of 178<br />
Erinnerungen an ihn!<br />
Hier (und anderswo auch) nimmt jetzt das Zentrum den Kampf auf. <strong>Eugen</strong>s Reise nach<br />
München statt [doppelt unterstr.] nach Berlin wird ein Symbol für ihn werden. - Aber ich will<br />
wirklich noch vor dem Essen rasch an den * gehn. "Bis nachher", hätte ich beinahe gesagt, aber ich<br />
schreibe ja nur und so muss es wohl heissen: "bis morgen".<br />
Aber ohne "nachher" und ohne "morgen"<br />
Dein.<br />
18.XI.[18]<br />
O weh, also habe ich dir heut früh ein leeres Couvert geschickt. Eben fand ich bei Herrn Mündel<br />
den liegengebliebenen Inhalt.<br />
Ich bin jetzt drin in II 3. Da ich die Woche noch hier bleibe (trotz des greulichen Gesprächs<br />
heut mittag mit Mutter), so wird vielleicht auch die Reinschrift von II 2 noch fertig und ich kann sie<br />
schon mitbringen. Also und Jonas Cohn gestern Abend. Sehr angenehm ruhig, sehr klug - und<br />
natürlich ganz unmöglich jetzt, obwohl eine gesunde Kur. Er sieht alles was jetzt geschieht als Sache<br />
von "Jahrzehnten" an. Den "Imperialismus" hat er immer abgelehnt; es ist die grosse Schuld des<br />
Judentums, den Gedanken des auserwählten Volks aufgebracht zu haben "worüber Sie natürlich<br />
anders denken werden". Ich dachte aber gar nicht anders, sondern meinte bei mir, dieser<br />
Zusammenhang von heidnischem Nationalismus und Ärger über das Judentum wäre ein so shönes<br />
Schulbeispiel, dass ichs gar nicht anders wünschte. Im übrigen war ich sehr laut, - und ausserdem: es<br />
war das erste Mal, dass ich seit dem * (den ich übrigens hier jetzt auch auf der Burse und noch einer<br />
dritten Wirtschaft entdeckt habe) einen gelernten Philosophen sah. Ich hatte so gar keinen Respekt<br />
mehr. Heut habe ich mir Husserl angehört, den ich noch nicht kannte.<br />
Wieder ein Philosoph weniger.<br />
November 2 <strong>1918</strong><br />
19.XI.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, ich wurde gestern Abend noch nicht mit Schreiben fertig, aber ich schickte den<br />
Brief doch ab, weil ja auch der Nachzügler hinter dem leeren couvert noch mitmusste. Nun kam heut<br />
früh dein Brief vom Freitag. Ich muss dir gleich antworten; es bedrückt mich, ich kann ihn nicht bis<br />
zum Abend unbeantwortet lassen. Ich muss dir sehr schlimm über <strong>Eugen</strong> geschrieben haben, ich<br />
weiss wirklich nicht mehr, was, aber ich merke es ja aus dir. Ich bin mir aber bewusst, heute nicht<br />
anders darüber zu denken als damals und damals nicht anders als heute. Das "Tu was dir unter die<br />
Hände kommt" - wer weiss das besser als ich. Mein ganzes Leben steht ja unter diesem Gedanken,<br />
dass die nächste Pflicht zwar nicht die höchste ist, aber der höchsten vorgeht, und dass man der<br />
höchsten nur dann leben darf, wenn sie zugleich die nächste geworden ist. Das ist meine ganze Moral<br />
in nuce, obwohl ichs hier mir selber wohl zum ersten Mal bewusst formuliere.