Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 69 of 178<br />
Wunden, ein jeder seine, und könnten es doch nur einer dem andern.<br />
Zu mir ist eine andre Geschichte in diesen Tagen gekommen, als ich unter den Trümmern des<br />
Bogens sass und Wozu schrie. Die erste Predigt des Baalschem sei, so erzählt man hier, gewesen: Es<br />
tut einer eine Reise, - nur damit sein Knecht aus einer Quelle trinkt, die dessen Grossvater gefasst<br />
hatte, - - auf dass die Quelle ihre Dankbarkeit beweisen mag.<br />
Wozu nun - <strong>Gritli</strong> ?<br />
Ich glaube noch nicht wieder,<br />
aber ich vertraue.<br />
Dein Franz.<br />
17.VI.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, mir ist auch müde und gereizt zu mut wie nach einer Krankheit; ich kann er noch<br />
nicht recht glauben, dass sie vorüber ist oder jedenfalls ich finde mich noch nicht wieder zurecht in<br />
dem wiedergeschenkten Leben. Deine Briefe heute waren ein rechtes Streicheln - hab Dank. Ich kann<br />
es dir noch nicht vergelten, obwohl du Armes es auch nötig hättest, - aber ich bin noch zu sehr bei<br />
mir selbst und in mir zusammengeschrocken. Das Wort vom Mass aus <strong>Eugen</strong>s Brief, der dir der erste<br />
Lichtblick, mir das tiefste Erschrecken war, lässt mich nicht los; mein Ganzes bäumt sich degegen<br />
auf. Es ist nicht wahr, dass der Mensch sein Mass hat; das Unmessbare in ihm kann nicht gemessen<br />
werden und auch nicht ermessen; auch nicht aufgerechnet gegeneinander, kein Addieren und<br />
Subtrahieren kann da gelten. "Je mehr ich gebe, je mehr hab ich" - Julia behält recht; ich erfahre es<br />
doch immer aufs neue, dass hier im an sich Unmessbaren die Schwingen vom Fluge nicht ermüden,<br />
sondern wachsen. Dies ist das Energiegesetz des Lebendigen. Das andre, dass jedem Mehr an der<br />
einen Stelle ein Minder an andrer entspricht, - ist das Gesetz des Toten. Nur wo das Lebendige mit<br />
dem Toten zusammenhängt, da gewinnt dies zweite Gesetz Macht über es; aber es beherrscht nicht<br />
die Geschehnisse innerhalb des Lebendigen; es kann bewirken - und bewirkt - dass der Mensch<br />
früher aufbrennt; je lebendiger sein Unsterbliches, um so sterblicher wird sein Sterbliches; denn es<br />
ist der Boden, dem das Unsterbliche seine Kräfte aussaugt, das Lebendige dem Toten. Aber<br />
Lebendiges nicht dem Lebendigen, Liebe nicht der Liebe. Die messende Nemesis herrscht zwischen<br />
Tun und Leiden, eben weil zwischen Lebendigem und Totem; aber in der Liebe gleicht sich nicht ein<br />
Tun einem Leiden aus, sondern Tun findet sich zu Tun, Leiden strömt zu Leiden; die Macht der<br />
Nemesis ist da zu Ende, eins zehrt nicht am andern, es giebt nur Steigerung - Tun zu Tun, Leiden zu<br />
Leiden, Seele zu Seele<br />
-------------<br />
oh Liebe - Dein<br />
18.VI.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, ich habe ja schon die ganze Woche meine Warschauer Tage nur noch mit starken