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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 81 of 178<br />

schon gleich vom Bahnhof Friedrichstr. weiterfahren, wenn meine Papiere nicht ganz haltbar sein<br />

sollten. Den Zug telegrafiere ich dir, sowie ich ihn sicher habe, d.h. sowie ich über die Sperre bin.<br />

<strong>Eugen</strong>s Telegramm - es war mir ja eigentlich aus ganz anderm Grunde recht, dass Mutter<br />

nichts wissen sollte. Aber sie hat grade in der letzten Zeit so besonders nett von dir geschrieben,<br />

jedes Mal; ich glaube, sie ist über die Eifersucht hinaus.(Vielleicht, so komisch es klingt, in Folge<br />

der letzten Wochen. Du hast ihr leid getan; da hat sie offenbar ihr bisheriges Bild von dir als nur<br />

blossen Leute esserin - die noch nicht einmal dafür bezahlt - umgestossen oder ergänzt). Also was<br />

ich dachte, ist vielleicht gar nicht so nötig.<br />

Franz<br />

Es ist alles dummes Zeug. Auf morgen, liebes <strong>Gritli</strong>. Schlaf sehr gut.<br />

[Franz an <strong>Eugen</strong>] 18.VII. <strong>1918</strong>.<br />

Also die Hoffnung schreibt sich offenbar doch Briefe.<br />

Aber ich werde heut auch gleich wieder in die Schule genommen. Als ich von Trudchen<br />

zurückkam (was sehr gut und nötig war, denn ich hatte mir in den letzten Tagen zu allem andern<br />

eingebildet, sie wäre mir böse auch das noch!) (ich hatte nämlich das kleine Löbchen neulich bei<br />

uns zu einer Cigarette verführt und Trudchen hatte mich darauf am Telefon mit so kalter<br />

Richterstimme behandelt und erklärt sie schickte nicht die Eva, sondern eines von ihren Kindern, um<br />

mir die Manuskripte zurückzubringen, sodass ich an der Strafe wohl oder übel mein Vergehen<br />

glauben lernen musste; nun war sie aber wieder gut und als ich ihr darauf die nähere Veranlassung zu<br />

der Zigarette erzählte, ganz gut.) Aber kurz, als ich zurückkam, war bei Frau Ganslandt ihr Neffe der<br />

Pfarrer Schafft. Ich hatte schon von ihm gehört. Ich bat ihn, da er mitten im Sprechen war, zu Abend<br />

zu bleiben. Er war fein. Ganz zu uns gehörig. Wir konnten uns die Worte beinahe aus dem Mund<br />

nehmen. Er setzte Frau Ganzhandt die Notwendigkeit des Untergangs und die Wiedergeburt<br />

auseinander. Bis in die Einzelheiten der Worte war alles so, als ob wieder einer da wäre, der nun<br />

der auf der gleichen Schulbank des Lebens gesessen hätte. Er ist 36 Jahre alt, noch unverheiratet,<br />

worüber er herrlich sprach, sehr gescheit aber dabei einfach, Taubstummen-pfarrer für den Bezirk<br />

("die Taubstummen halten mich am Rockzipfel, darüber bin ich glücklich, so kann ich so leicht nicht<br />

aus der Kirche herausfallen" er sprach davon, dass er auch in der Beziehung nichts "wolle", weder<br />

festhalte, noch sich loslasse, sondern auch das nehme wie es ihm gegeben werde.) Er hat in Halle<br />

studiert, offenbar von Kähler beeinflusst, ganz frei und weit, im Aussehen etwas gepresst und etwas<br />

ins peinlich Selbstzwingerisch = Asketische. Aber mehr im Aussehen als im Wesen. Das Aussehen<br />

ist doch oft nur die Vorgeschichte des Menschen. Und nun sprach er, ohne unangenehme<br />

Absichtlichkeit so ketzerkirchlich = hansisch =eugensch über das Und von Juden und Christen, wie<br />

von etwas Zukünftigem und doch auch wieder wie von Gegenwärtigem (er hatte nämlich grade für<br />

das Theol. Littblatt einen Aufsatz von Cohen kritisiert und als"ethischen Idealismus" vermöbelt,und<br />

grade trotzdem behauptete er die im Grunde Einerleiheit) kurz er sprach so, dass ich mich schämte<br />

und grämte, euch heut vorhin so viel mit dem Unterschied zugesetzt zu haben. Magst du, <strong>Eugen</strong>,<br />

auch Schuld daran haben und mich herausgefordert haben, es war doch mehr als ich sagen durfte;

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