Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 68 of 178<br />
Brief schicktest. Ich habe nie das Bewusstsein verloren, dass auf <strong>Eugen</strong> eine mehr als menschliche<br />
Last lag; ich glaubte er könnte sie tragen. Im Augenblick wo er so entschieden fühlt es nicht zu<br />
können, - in diesem Augenblick ist alles entschieden. Ich hatte ihm mehr als menschliche Kraft<br />
zugetraut. Könnte ich ihn darum weniger lieben, weil er - bloss ein Mensch ist? O <strong>Gritli</strong>, und wenn<br />
er und ich uns jetzt verlieren würden, - auch dann noch.<br />
<strong>Gritli</strong>, wir waren vor aller Welt verborgen, - vor ihm mussten wir offenbar sein; ohne dieses<br />
Offenbarsein stürzt unsre Verborgenheit in sich zusammen. Was wird, weiss ich noch nicht. Den<br />
zusammengebrochenen Bogen, - wie weit musste es in ihm gekommen sein, ehe er "ohne Reue" ihn<br />
zum Einsturz bringen konnte, - ich glaube, ich werde seine Trümmer aufs neue hochschleudern, dass<br />
sie frei in der Luft schweben bleiben und sich neu zum Bogen runden, ich ahne es - denn unter<br />
Trümmern kann ich nicht leben.<br />
Es ist jetzt ein Jahr, da schrieb er mir den ersten Brief nach Kassel, den ich dort vorfand und am<br />
ersten Morgen, in deiner Gegenwart las - und dir vorlas bis auf den Schlusssatz. Ich weiss ihn noch<br />
genau, heute musst du ihn hören: "Ich schicke meine Frau nach Kassel; sie soll "lieber Franz" zu dir<br />
sagen statt aller meiner Briefe. "<br />
Was ist denn andres geschehn?<br />
<strong>Gritli</strong>, ich darf nicht schreien, ich habe kein Recht dazu; es muss still in mich hineingehn.<br />
<strong>Gritli</strong> ---<br />
15.VI.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, ich bin noch geschlagen; ich kann noch nicht wieder glauben. Ich bringe seine<br />
Worte nicht zusammen; das in dem Brief, das mich so erschreckte - der Bogen ist zerbrochen; ich<br />
bereue es nicht - und heute das. Das von heute war ja das, was ich ihm die ganze Zeit mit der<br />
Selbstverständlichkeit, mit der man manchmal grade das Wunder voraussetzt, zutraute. Das andre<br />
habe ich in diesen schrecklichen Tagen verstehen gelernt. Jedes für sich kann ich verstehen; beide<br />
zusammen nicht. So ist mir, als dürfte ich noch nicht wieder zu dir sprechen - und ich tue es doch - -<br />
o <strong>Gritli</strong>.<br />
Ich habe in diesen Tagen eine sehr simple Schuld eigentlich mehr eine Versäumnis von mir<br />
gegen <strong>Eugen</strong> gefunden: ich habe ihm zu wenig geschrieben, ich hatte immer das Gefühl, indem ich<br />
dir schriebe, schriebe ich ihm mit; das war doch nicht so; er hat mich aus den Augen verloren, sonst<br />
wäre das jetzt nicht möglich gewesen.<br />
Ich muss wieder an das Unmögliche glauben lernen, an das Überallemassen, an das<br />
Unmessbare. <strong>Eugen</strong>s Worte vom Mass haben mich ins Bodenlose gestürzt. Ich muss sehen, dass er<br />
sie verleugnet. Überhaupt jetzt, ich muss sehen - zum Glauben langt es nach diesem Schlag und<br />
Sturz noch nicht wieder. Die zwei Tage auf der Rückreise, auf die ich mich bisher nur "entsetzlich<br />
gefreut" hatte, sind mir nun eine grobe einfache Notwendigkeit geworden; ich muss dich und<br />
vielleicht gar dich und ihn sehn, einfach sehn. So sitzen wir nun alle drei und verbinden uns die