Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 39 of 178<br />
noch mit der Kühle gegen den Übernächsten beisammen findet, ja sich (ehrlich gesprochen) an dieser<br />
Kühle erwärmt. Die wir hier lieben, werden wir dort doch nicht weniger lieben; wir brauchen kein<br />
Weniger von Liebe zu fürchten; aber wir fürchten das Mehr von Liebe, wir fürchten, teilen zu<br />
müssen, und - sollten doch schon von hier unten wissen, dass Liebe sich nie teilt, nur wachsen kann.<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>,<br />
Guten Abend, <strong>Gritli</strong><br />
15.4.[18]<br />
nun ist <strong>Eugen</strong>s Brief doch noch gekommen, gleichzeitig mit deinem aus euren drei Tagen. Wenn<br />
ich denke, dass es die gleichen Tage waren, die ich hier herunter fuhr mit der Nachricht von Cohens<br />
Tod - welche Gleichzeitigkeit gilt nun! Denk, es ging mir mit <strong>Eugen</strong>s Brief wie mit deinem hier; was<br />
er von Vater sagte, zu mir sagte, kam von aussen; es ist schon so, wie du selbst sagst: nur die<br />
Blutsverwandschaft schafft hier die Nähe, wo das Selbstverständliche mitgefühlt wird, auch wenn<br />
man es nicht selber erlebt hat. Hansens Brief war so, obwohl wir uns doch so viel ferner jetzt stehen<br />
als zuvor. - Bilde ich mir das nur ein oder kann es wahr sein, dass ich mich an den drei Tagen genau<br />
so freu wie du und er? - Ich lege dir wieder zwei Apokryphen zu Zeit ists bei, die du dann weiter<br />
nach Kassel schickst. Die in dem Israelit. Familienblatt am Schluss zitierte Broschüre von Birnbaum<br />
wollte ich dir schon neulich, als ich sie las, auf der Fahrt nach Dresden, nennen. Du findest sie in<br />
(oder kannst sie kriegen von) Kassel. (Sonst: Verlag Löwit, Berlin u. Wien). Es ist das Programm<br />
einer jüdischen Ordensgründung. Das Zusammentreffen in dem Psalmzitat hat mich frappiert. (Es ist<br />
allerdings eine ziemlich bekannte Stelle). Auf Birnbaum ging wohl das kurze Stück über "Jüdische<br />
Religion" in der Nr. der J.Rundschau, die ich neulich bei dir vorbeidefilieren liess; es ist dir<br />
vielleicht aufgefallen. - Ich denke jetzt manchmal, ich habe da etwas aufgeregt, was nun auch ohne<br />
mich weitergehen würde. Es muss ja wohl so sein; sonst hätte es auch mit mir kein Daseinsrecht.<br />
Alle Nachrufe auf Cohen sind unbefriedigend. Es ist als hätte ihn niemand gekannt. Mir zuckt es<br />
immer, wenigstens meine einzelnen Erinnerungen an ihn, meine "Anekdoten", schriftlich<br />
festzuhalten. Vielleicht tue ichs. Nach Berlin zieht mich nun für später nichts mehr. Und trotzdem<br />
werde ich wohl noch eine Weile hinmüssen, nicht bloss wegen des Hegel. Zu denken, dass der nun<br />
bald 3 Jahre eigentlich ganz fertig daliegt! Frühjahr 14 hat <strong>Eugen</strong> ganz trocken erklärt, der würde<br />
überhaupt nie fertig, als ich sagte im Herbst könnte er erscheinen. Die ältesten Blätter im Manuskript<br />
sind von 1909, als Buchplan ist es von 1910 - und jetzt ist <strong>1918</strong>! "Ist mir mein Leben getroumet?"<br />
Lieber <strong>Eugen</strong>,<br />
15.4.18<br />
es ist alles soviel einfacher. Auch ohne eigne Lebenswahl - eine Wahl die ich wohl gegen Vater<br />
verteidigt habe, aber nicht im Kampf mit ihm gewonnen (nicht einmal!) - auch ohne das, auch für<br />
den, wenn es ihn giebt, der einfach die Arbeit des Vaters aufnimmt, auch für den ist der Tod des<br />
Vaters das Gleiche wie für mich und jeden. Man ist eben nicht mehr Sohn. (Der Mutter gegenüber ist<br />
man immer Kind, nie Sohn). Ich weiss sogar mit innerer Gewissheit nun, dass das das Gleiche ist,