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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 73 of 178<br />

Wie kann er denn unser Verhältnis zu einander so verzeichnen, er selber, der doch erst die<br />

endgültigen Formeln dafür gefunden hat. Ich merke, dass du die Arbeit des Briefbuchs noch mehr als<br />

für Rudi für <strong>Eugen</strong> machst. Er muss sich selbst, scheint es, erst einmal wieder schwarz auf weiss vor<br />

Augen sehen. Was für eine unheimliche Kraft ist in ihm, nichts abgeschlossen sein lassen zu können;<br />

alles muss er wieder in Bewegung bringen; sein Herz hat keine Schatzkammern, worin er die einmal<br />

gefertigten Kleinodien nun pflegt und bewahrt, er ist wie E.T.A. Hoffmanns Goldschmied in Paris,<br />

der seine Kunden ermordet - der will freilich seine Kleinodien nur selber behalten, er hingegen<br />

vergträgt überhaupt nicht, dass Fertiges von seiner Hand existiert. Ich kann ihm da gar nicht folgen.<br />

Ich könnte doch jetzt das Gespräch von 1916 nicht wieder von vorn anfangen. Das ist keine<br />

Schachpartie gewesen, wo einer gewinnt, und wo dann das nächste Mal Revanche gegeben wird; es<br />

ist unser gemeinsames Werk; was wir zu zweien und 1916 im Kriege daran tun konnten, ist getan;<br />

zwischen mir und ihm ist kein Kampf mehr; würde er ihn heute erneuern wollen - ich würde es mit<br />

ähnlichem Ekel als eine nur intellektuelle Angelegenheit empfinden wie meine Auseinandersetzung<br />

darüber jetzt mit Hans, über deren lange Unterbrechung ich keine Spur traurig bin. Sein Gefühl der<br />

Selbstbehauptung ist mir unbegreiflich. Gegen mich? gegen mich? gegen den wohl ersten nach dir,<br />

der ihm geglaubt hat? und der ihm glauben wird, solange - solange wir noch aufs Glauben<br />

angewiesen sind. Und gegen mich muss er sich noch erst "behaupten"? ? Fühlt er denn nicht, was es<br />

bedeutet, dass ich ihm glaube. Weiss er nicht, wie hart es mir nicht bloss war, sondern ist, ihm<br />

glauben zu müssen. Wieviel einfacher mein Leben wäre, wenn ich ihm nicht zu glauben brauchte. Er<br />

ist der Punkt der Umkehr in meinem Leben und dadurch die Kette die mir nachschleift. Es ist doch<br />

kein Zufall, dass ich Cohen, als ich das Gefühl hatte, nun mich ganz vor ihm ausbreiten zu müssen,<br />

von meinem Verhältnis zu <strong>Eugen</strong> sprechen musste, und sonst von nichts! Er ist mir Schicksal<br />

geworden, früher als ichs ihm wurde. Aber ist es nicht natürlich, dass auch ichs ihm werden musste?<br />

Sieh, das ist das was mich jetzt über das grauenhafte Gefühl, ihn eifersüchtig zu wissen,<br />

hinweggetragen hat: dass er da, in einer wüsten leiblich = geistigen Erschütterung seines Wesens,<br />

erst den Glauben an mich gelernt hat - über das Bewusstsein unsrer "planetarischen"<br />

Zueinandergehörigkeit hinaus - den wirklichen Mensch=zu=Mensch = lichen Glauben an die<br />

Wirklichkeit meiner Existenz - so wie ichs bei ihm gelernt habe in jener gleichfalls entsetzlichen<br />

Durchschütterung jener Leipziger Nacht vor bald 5 Jahren, in und nach der ich mich schliesslich<br />

auch nicht grade nett zu ihm benommen habe. Es ist eben nichts schwerer als dies scheinbar<br />

Einfachste: einander gegenseitig unsre Wirklichkeit zu glauben. "Liebe deinen Nächsten - er ist wie<br />

du", ja wirklich wie du, ganz wie du! Du hast die Wirklichkeit nicht gepachtet und die andern sind<br />

blosse Gestalten deiner "Weltanschauung", blosse Filmgespenster an der weissen Wand, wie dus dir<br />

immer wieder gar so gern einreden möchtest; sondern wirklich wie du, Menschen wie du, - Mensch!<br />

Hätte ich vielleicht dies, was mir eben unter deinen mir über die Schulter guckenden Augen aus<br />

der Feder gesprungen ist, lieber gleich ihm selber geschrieben? aber es ist etwas wie Scham in mir,<br />

ihm das zu sagen. Kann man es denn? Weiss er es denn wirklich nicht? ? Und habe ich es ihm nicht<br />

schon gesagt? ausser natürlich das letzte - und selbst das vielleicht. Hat ers nicht selber sogar gesagt<br />

in jenem Briefschluss vom vorigen Jahr, den ich dir neulich schrieb?<br />

Er muss doch wieder hell werden und das sumfelein lernen - es ist niemand da, mit dem er<br />

könnte. Sag du es ihm, wenn ich das Wort nicht hervorbringe. Ja du bist die verbindende

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