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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 109 of 178<br />

wollen wir nicht auf die "......" Sprache reduziert werden, wir die Worte des andern annehmen<br />

müssen, einerlei wie wir es selber sagen würden. Von dem "und", dem "dritten Reich", dem<br />

"Geistlichen" handelt doch der ganze Brief (ich meine den ..[Zeichnung Schnecke] Brief), das ist<br />

doch eben die Pointe. Aber nun genug.<br />

Du brauchst dich nicht zu kümmern, wenn du mir mal nicht schreibst. Ich fürchte eher,<br />

dass ich dich manchmnal zum Schreiben bringe, wenn du schlecht kannst, - einfach wie deine<br />

Freundin jetzt, weil Frage Antwort erzwingt. Freilich - wenn dann heut Abend nichts von dir da ist -<br />

nein es ist schon besser, <strong>Gritli</strong>, du schreibst.<br />

Ich habe die grösste Scheu Briefe zu verbrennen. Wenn es nicht ganz grob notwendig war habe<br />

ichs nie getan. Das Wort verweht, oder vielmehr verwandelt sich in die Ant = wort. Aber das<br />

geschriebene Wort, die Schrift überhaupt bedeutet ja, dass der Mensch sich nicht begnügen wollte<br />

mit Augenblick und Gegenwart, sondern sich Dauer schuf, Brücken über die Entfernungen im Raum<br />

und in der Zeit. Was also diese Probe bestanden hat, die Probe der kleinen Dauerhaftigkeit - und die<br />

hat auch das flüchtigste geschriebne Wort bestanden -, das braucht sich auch vor der grossen Dauer<br />

nicht zu fürchten. Ich schrieb dir neulich vom Vergessen. Gesprochnes Wort mag man vergessen,<br />

geschriebnes muss man verwahren - wenigstens solang man selber "verwahrt wird", eben so lang<br />

man lebt. Das Menschenleben ist die grosse Dauer, für die das Geschriebene Wort mit seinem<br />

Überwinden der kleinen Dauer seinen Befähigungsnachweis erbracht hat. Die Briefe, die ich von<br />

jemandem habe, sind mir wie ein Stück seines Lebens, das in meine Verwahrung gelegt ist; ich hätte<br />

beim Verbrennen glaube ich ein Totschlags-gefühl; deshalb kann ich es auch bei gleichgültigen<br />

Briefen sehr schwer; selbst Einladungen habe ich, wenn sie geschrieben waren meist aufbewahrt. Die<br />

Flüchtigkeit, die auch das schriftliche Wort hat, wird wie beim mündlichen, aufgenommen und<br />

aufgelöst in die Antwort. Ein beantworteter Brief ist nie mehr "zu intim". Nur solange ein Brief noch<br />

ohne Antwort ist, solange denke ich mit Zagen und mit Scham daran, aber die Antwort einerlei wie<br />

sie ist nimmt ihn auf, tilgt das Flüchtige an ihm, und was bleibt ist das Dauerhafte.<br />

Die "Heidelbeeren" hatte ich ganz vergessen (sie schweben mir auch jetzt noch nur so dunkel vor,<br />

dass ich glaube, ich habe sie nicht selbst gegessen); daher hatte ich den Brief gar nicht hierher zum<br />

Beantworten mitgenommen, weil kaum etwas zum Beantworten drin stand. Ich schicke dir das<br />

beiliegende Kunstprodukt, meine liebe Maarrgrritt, erstens zur Adressierung und zweitens zur<br />

Zensur (und im Nichtge-eignetheitsfalle zur unbedenklichen Vernichtung und Vorschrift eines<br />

Ersatzschreibens).<br />

Ich glaube, du hast die Heidelbeeren gegessen! Und mich lässt du kaltblütig den<br />

Bedankemichbrief dafür basteln - Margrit !!!! Pfui!<br />

Dr. Franz.<br />

2.9.18.<br />

Lieber <strong>Eugen</strong>, also du ergänzest schon die dünne Stelle, die mich an ... [Zeichnung Sonne Mond<br />

Sterne] störte und gehst von Japan nach China. Es giebt eine recht törichte kleine Parabel von<br />

Tolstoi, wo ein Chinese recht behält, denn er verehrt den Himmel, der nur einer ist über der Erde,

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