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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 90 of 178<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, ich bin müde, nicht etwa von "Krieg", sondern von einem Brief von Mutter, über<br />

dem ich gestern Abend noch ein paar Stunden aufsass. Sie hat eine Auseinander-setzung mit Frau<br />

Gronau herbeigeführt, als die sie am 7ten endlich aufzusuchen Zeit gefunden hatte. Dabei ist sie aber<br />

aus der Rolle der Anklägerin gleich in die Verteidigung gekommen; denn Frau Gronau hat ihr<br />

plötzlich ein langes Sündenregister, bestehend aus lauter dummem Zeug, vorgehalten: nicht<br />

genügend ausgeliehene Mädchen, überhaupt nicht genügend "Opfer gebracht" u.s.w. - Und daraufhin<br />

sei sie, Frau Gronau, mit ihr "fertig". Dies ist nun das Ende, skurril, ein Gezänk. Das<br />

Rechtbehaltenhaben ist ein bitteres Vergnügen; hier könnte ichs haben; Mutter pflegte mir immer<br />

Frau Gronau entgegenzuhalten als Exempel, wie jemand der nur auf sein eigenes "Gewissen" höre<br />

vortrefflich sein könne; jetzt ist sie ihr selbst mit diesem rechenschafts= und einblickslosen<br />

"Gewissen" entgegengesprungen. Für Mutter ist das Ganze "Undank-barkeit", da sie sich grade<br />

eingeredet hatte, immer viel für sie getan zu haben, und jetzt ausdrücklich gesagt kriegt, das sei alles<br />

gar nichts gewesen, sie seien beide (Vater und sie) "ungeheure Egoisten" gewesen, von "Eitelkeit"<br />

besessen u.s.w. Und grade "Undankbarkeit" ist das was sie jetzt besonders erschreckt, weil sie sich<br />

auf den "Dank" der Leute angewiesen vorkommt. (Was natürlich Unsinn ist). Beim Schreiben kam<br />

es mir vor, als ob ich ihr Ohr erreichte; jetzt hinterher wo ich über meine Antwort reflektiere, weiss<br />

ich wieder gar nichts mehr und tappe im Dunkeln wie stets bei ihr. Das Sonderbare: dennoch habe<br />

ich das Gefühl als ob es wieder aufwärts mit ihr ginge. - Müsste sie denn eigentlich an so einem Fall<br />

nicht sehen, dass es auf das Sich = "Brauchen" nicht ankommt? Ich halte die Undankbarkeit der<br />

Menschen für "Guttaten" für einen der hoffnungsvollsten Charakterzüge der maudite race à laquelle<br />

nous appartenons. Der Mensch nimmt zwar was er geschenkt kriegt, aber es fällt ihm gar nicht ein,<br />

es dauernd schwer zu nehmen; auf die Dauer lässt er sich nicht kaufen, sondern will bezwungen<br />

werden. Nicht die "Wohltäter" sondern die grossen Schlächter sind die wirklich volkstümlichen<br />

Helden. Gestern schrieb ich dir nicht; ich hatte einen langen Antwortbrief an <strong>Eugen</strong> geschrieben und<br />

bildete mir plötzlich sicher ein, er wäre noch mit dir zusammen. Ist es wohl wahr? Und morgen<br />

fängst du wieder an, mir zu schreiben. Und eine Woche danach hab ich den Brief. Ich freue mich<br />

sehr auf dich.<br />

Dein Franz.<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>,<br />

15.[doppelt unterstr.] VIII.[18]<br />

- - ich sitze ganz stumm vor den zwei Worten und möchte weiter gar nichts schreiben, habe auch<br />

eigentlich gar nichts weiter zu schreiben, - und habe ich dir denn eigentlich je etwas andres<br />

geschrieben? Es geht mir mit den zwei Worten wie den Kindern wenn sie einen Schulaufsatz darüber<br />

machen müssen, was alles dazu gehört, wer alles dazu hat arbeiten müssen, bis sie ihr Brot zum<br />

Frühstück haben. So wie diese weitläufige und in sehr vornehme Regionen führende Vorgeschichte<br />

des Brods, so verliere ich mich beim Angucken der zwei Worte in die weitläufige Vorgeschichte was<br />

alles dazu gehört hat, dass ich sie dir nun schreiben kann, - die Vorgeschichte die wir wissen und die<br />

andre längere die wir nicht wissen und sie führt auch in sehr hohe Regionen. Bäcker und Müller,<br />

Schmied und Bauer, Sonne und Regen, Himmel und Erde - die andre Geschichte mag ich nicht<br />

schreiben, es ist zu schön, stumm hineinzusteigen und zu denken was war - und was ist. O du liebes

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