Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 129 of 178<br />
Ich weiss nur eins, und weiss es in alles andre Wissen hinein: Ich bin Dein.<br />
5.10.18<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, bis 14 Tage soll Post nach Deutschland gehen, hörte ich gestern! da bin ich<br />
vielleicht selbst vorher da, wenn auch nur auf kurze Zeit, denn ich habe doch sicher keine Malaria; es<br />
müsste eine sehr leichte tropica gewesen sein; sonst ist die Pause zu lang. Der Frieden kommt nun,<br />
und ich merke plötzlich, dass ich mehr für Deutschland übrig habe als ich wusste; denn dieser<br />
masslose englische Sieg fällt mir aufs Herz; es bleibt ein trauriger kleinbürgerlicher kontinentaler<br />
Mittelstaat übrig, und das nach den Hoffnungen dieser Jahre. Die Parlamentarisierung wie sie jetzt<br />
geschieht ist ja nur Blamage. Vielleicht würde ichs anders ansehn, wenn ich nicht schon wieder aus<br />
sicherem Hintergrund spräche, als ein Etappenschwein. Die Nurfrieden = Stimmung versteht man<br />
doch nur an der Front und in der hungernden Heimat, nicht in der kugelsicheren und wohlgenährten<br />
Zwischenzone, genannt Steppe.<br />
I 2 ist gestern fertig abgeschrieben. Ich traue meinem Urteil nach dem Abschreiben nie; es ist<br />
immer schlecht, a la baisse.<br />
Ob ichs machen kann, wenn ich nach Deutschland komme, euch zu sehn? vielleicht am ehesten<br />
zwischen Lazarett und Rückreise zur Front, Mutter müsste mir dann Zivilsachen mit nach dort<br />
bringen, wo ich ins Lazarett käme. Freilich dürfte dann die Reise nicht als Transport gehen.<br />
Es wäre so schön --- Dein Franz.<br />
5.X.18<br />
Mein lieber <strong>Eugen</strong>, ich wusste auch, dass die Einleitung ungleich im Styl geraten ist, besonders<br />
das "Verlängerungsstück" über die Sprache, was ja eigentlich nicht unbedingt dazugehört und was<br />
ich bloss dazugesetzt habe, um es seiner Wichtigkeit entsprechend vorwegzusagen und nicht etwa<br />
erst im ersten Buch des Teils selber. Gewundert hat mich, dass du offenbar nicht von dem frappiert<br />
warst, was mir das eigentlich Frappante war: der neue Wunderbegriff (Wunder = Zeichen), wozu ja<br />
die ganze Geschichtsdarstellung nur die Para = und Periphrase gab. Aber es versteht sich, dass man<br />
andres hineinschreit in den Wald als heraustönt. - "Wie und wo" ich erkläre, ob ich als J. oder Chr.<br />
schreibe? Aber ich bin ganz sicher dass ich das nirgends erklären werde; und zwar weil ich (mit<br />
Ausnahme der Einleitungen u. einzelner Partien der Bücher) gar nicht auf der Platform des<br />
natürlichen Geistes schreibe, sondern auf der Platform meines Lebenslaufs, der bekanntlich (beim<br />
AOK 11 und bei der F.A Schiessschule Rembertow) beginnt: "Ich Franz Rosenzweig jüdischen<br />
Glaubens bin geboren als Sohn" u.s.w. "am".."zu".. (Chronologie und Geographie der Diaspora).<br />
Dass ich als Jude schreibe ist die ganz undiskutierte Voraussetzung, genau so undiskutiert wie dass<br />
ich als IchFranzRosenzweig schreibe. Und daher kommts auch, dass ich in diesem Buch ganz ruhig<br />
in Chiffern schreibe, viel mehr als irgend ein Leser merken kann. Ich schreibe ja wirklich nur vor mir<br />
selbst. Selbst die Beziehung zur protestant. Universität, die ich festzuhalten suche, halte ich nur<br />
deshalb fest, weil ich mein wissenschaftl. Gewissen in diesem Laden gekauft habe und es also<br />
("unbegrenzte Garantie für dauernd richtigen Gang") zwecks Reparatur immer wieder dorthin<br />
bringen muss. (Übrigens es ist wirkich wahr, dass es in dem Sinne wie es eine katholische Kirche