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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 173 of 178<br />

Th.Mannsche Buch ist wirklich sehr lesenswert. Aber Heinrich, der Bruder, ist doch ein ganz andrer<br />

Kerl als dieser Skeptiker, der in seiner bewussten Formenstrenge schliesslich viel willkürlicher, viel<br />

alleskönnender ist und viel ungeplagter von sich selbst als der Bruder, der wirklich ein geplagter<br />

Mensch ist und also - ein Mensch.<br />

Eigentlich freue ich mich diesmal auf meinen Geburtstag; ich weiss selber nicht, warum.<br />

Vielleicht weil ich das schönste Geschenk schon vorweg habe. Übrigens hat unsre Konkordanz grad<br />

für uns einen grossen Fehler: sie ist nach dem "revidierten" Text gearbeitet, sodass mann sich für<br />

Luthers Sprachgebrauch nicht darauf verlassen kann. Denn die Änderungen dieser "evangelischen<br />

Kirchenkonferenz" sind recht erheblich.<br />

Grüss alle Säckinger, die ich kenne, und gieb deiner Mutter einmal gelegentlich einen anonymen<br />

Kuss (ohne Angabe des Absenders)<br />

von Deinem Franz.<br />

25.XII.18.<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, nun ist der 25te und ich bin eigentlich den ganzen Tag sehr vergnügt, so über einem<br />

dunkeln Grund und doch vergnügt. Schon das Geschenktkriegen en masse war ich ja seit 1915 nicht<br />

mehr gewöhnt und nun macht mir der Tisch mit den vielen Büchern deshalb solche Freude. Die<br />

Konkordanz, die 4 Sprachen Bibel und das schöne griechische Lexikon (aber ich gebe den<br />

Eigennamen = Teil und den deutsch = griechischen zurück, wenn es geht, und nehme mir vielleicht<br />

statt dessen die Mandelkernsche hebräische Konkordanz). Die dreie haben wir, Emil und ich dann<br />

viele Stunden lang hin und hergewälzt, sodass sie sich schon ganz gebraucht anfühlen. Und zuletzt<br />

holte ich das kleine Büchelchen, wo ich Notkers 103ten drin hatte und las ihn responsenhaft mit<br />

Emil zusammen, er den Vulgatatext und ich den Notkerschen; und dabei hatte ich deinen Brief noch<br />

nicht, der mir den ganzen Notker ankündigt; der wird nun also wirklich als ein Abschluss kommen,<br />

hoffentlich noch nicht so bald, damit ich mich länger darauf vorfreuen kann. Das Freuen ist doch<br />

überhaupt eine Kunst, zu der wir, alle viel Talent haben. Mir ist, dir müsste auch sehr froh zu mute<br />

sein. Vielleicht ist es mir nur so, weil es dir so ist - - ist es, liebes <strong>Gritli</strong>?<br />

Des Nachmittags bat ich Mutter, dass das Mignon spielen dürfte. Die Appassionata war noch<br />

aufgespannt! Mir war als könnte es gar nicht so lange her sein, dass es zum letzten Mal gespielt<br />

hätte. Nach der Apassionata spielten wir noch die Kleeberg = Variationen. Vor dem Satz der 109ten<br />

bangt es mich noch selber.<br />

Von Emil habe ich den Don Quichote gekriegt. Statt am Stern zu schreiben habe ich heut früh bis<br />

8 geschlafen. Dann war der erste richtige Schneetag draussen. Ich hätte heute auch nicht schreiben<br />

können. Ich weiss noch nicht wie ich es anfangen soll. Es kann sein, dass es eine richtige<br />

Unterbrechung giebt; etwas ballt es sich aber schon zusammen, sodass es vielleicht doch schon<br />

morgen früh weitergeht. Von Hans hörten wir gestern den zweiten und den Anfang des dritten<br />

Kapitels. Die Verwandschaft mit dem was ich mache, war mir doch sehr deutlich. Wir haben das<br />

Ganze genannt: "Das Leben. Eine Exegese". Nämlich er setzt seine Vorstellung von Leben (das<br />

Leben als das zwischen Anfang und Ende), die ja auch meine Vorstellung ist (daher alles

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