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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 93 of 178<br />

verlockend und papiersparend es ist, sollte man sich wirklich verbieten; wenn man nicht grade das<br />

Glück hat, im Jahr 1800 zu leben und also einen Zeitkreis um sich zu haben, der en bloc der<br />

Folgezeit vererbt wird; so ging es Hegel mit der "Phänomenologie", deren Anspielungen fast nur auf<br />

Dinge gehen, die uns heut noch genau so lebendig sind wie sie damals waren. Aber das ist eine<br />

Ausnahme. Der Kreis der 60er bis 80er Jahre, in dem Cohen grossgewachsen ist, ist uns heute schon<br />

so fremd und wird uns auch kaum je wieder interessant werden. Dass er in dieser Zeit dann noch das<br />

geworden ist, was er ist, das ist eigentlich ein Wunder. Weil er doch wirklich in der Zeit gelebt hat,<br />

sich von der Zeit genährt hat, und nicht wie Nietzsche von seinem eigenen Fleisch. Aber die<br />

Erklärung liegt eben in dem Stück Fremdheit gegen die Zeit, das er von Haus aus hatte und sich<br />

immer bewahrte. Und deshalb wäre es eigentlich nur natürlich, wenn sein zeitfremdestes Buch auch<br />

sein grösstes geworden wäre. (Wie ich ja eben vermute).<br />

Da habe ich unwillkürlich den Abriss des Aufsatzes hingeschrieben, den ich am Ende, wenn<br />

ich durch bin, über ihn u. speziell über das Nachlassbuch schreiben will. Nun wäre es wieder gut,<br />

wenn ich - Durchschlag hätte. Oder vielleicht ist es auch besser so; damit ich dieses wirkliche Vor =<br />

Urteil lieber wieder vergesse und erst einmal urteilsfähig werde; obwohl ich gefunden habe, dass die<br />

Nachurteile doch meist den Vorurteilen auf ein Haar gleichsehen. - Meins über dich allerdings nicht.<br />

Aber dafür deins über mich. Übrigens einmal war ich doch schon sehr eingenommen von dir: als du<br />

mir durch Mutter auf den Dub Äpfel schicken liessest und ausdrücklich auf einen Bedankemichbrief<br />

verzichtestest. Du konntest doch nicht ahnen, dass ich ihn so reichlich nachholen würde - den<br />

Bedankemichbrief.<br />

Dank, <strong>Gritli</strong> - Dein Franz.<br />

19.VIII.[18]<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, ich bin recht innerlich verwütet, in einer Stimmung, wo ich dir besser nicht<br />

schriebe. In einigen Tagen muss ich - Folge von Warschau - dritten Mann beim Skat der "Herren"<br />

machen. Das bedeutet 4 Nachtstunden, die ich bei meinem absoluten Schlafbedürfnis am Tag<br />

nachholen muss. Was da noch übrig bleibt, da ich ohnehin auch mehr Dienst habe - weiss ich nicht.<br />

Und einen Schutz gegen Versetzung zur Infantrie bedeutet es erfahrungsgemäss auch nicht. Im<br />

übrigen ist ernsthaftes Pech viel leichter zu ertragen als eins, das in so lächerlicher Form auftritt.<br />

"Wenn ich der Bey von Tunis wäre" würde ich nicht nur...und...und..., sondern auch auf den Besitz<br />

von Spielkarten Todesstrafe stellen.<br />

Vielleicht wird mir wieder besser, wenn erst deine Briefe kommen. Ich bin zum Zerreissen<br />

gespannt auf den ersten. Gar nicht, nicht im geringsten aus irgend einem noch so leisen Gefühl der<br />

Unsicherheit heraus, ich bin deines Herzens so gewiss wie meines eigenen, gewisser fast, ich trage es<br />

mit mir jeden Augenblick; und wollte ich es fragen, jeden Augenblick könnte ichs, aber ich frage es<br />

nicht, ich brauche es nicht zu fragen. Nein, aber das ganz Äussere, das einfache "Wo bist du", das<br />

ganz simple "Wie geht es dir" - ich habe mich manchmal über diese Redensart mokiert, jetzt in<br />

diesen Wochen habe ich gelernt dass es keine blosse Redensart ist, all meine Spannung brennt in<br />

dieser dummen entsetzlich nebensächlichen und doch entsetzlich hauptsächlichen Frage

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