Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 84 of 178<br />
Warum wunderst du dich immer von neuem, dass wir miteinander sprechen können. Denn wir<br />
könnens, auch wenn wirs oder du es zuvor abstreitest - du tutst den Mund auf und strafst dein<br />
anfängliches Abstreiten Lügen. Von "Neutralem" haben wir doch wahrhaftig nicht mehr viel<br />
gesprochen, seit du mich A.Bund genannt hast; "durch die Blume" vielleicht schon eher, denn es ist<br />
ein gewisses Übersetzen zwischen uns nötig. Dies Übersetzen hast du meistens mir zugeschoben, -<br />
mit Recht, denn ich kann es und du kannst es wahrscheinlich nicht. Du hast daraufhin fast<br />
unbefangen die Sprache deines Glaubens sprechen können, in der Gewissheit, dass ich sie mir schon<br />
übersetzen können würde. Und da liegt die einfache Lösung des Rätsels. Unser Glauben (und also<br />
auch unsre Werke) sind verschieden. Wäre der Glauben etwas ganz für sich, so würden wir wirklich<br />
kein Wort miteinander sprechen können; auch Übersetzen gäbe es dann nicht. Aber er ist nichts ohne<br />
die Hoffnung. Und die Hoffnung ist uns gemeinsam, wie und weil uns der Glaube verschieden ist.<br />
Die Gemeinsamkeit der Hoffnung befähigt mich, mir deinen Glauben in meine Sprache zu<br />
übersetzen. Und daher können wir wirklich von dem sprechen, "was allein Männern zu sprechen<br />
lohnt". Du bist arg vergesslich - sonst entsännest du dich noch einer Gedichtzeile, worin das alles<br />
sehr kurz und gut gesagt war: "mein Feind im Raum, mein Freund in der Zeit". Kennst du den<br />
Dichter nicht mehr? er war bald ein Jahr jünger als du jetzt bist. Und er verleugnet das Gesetz der<br />
Welle, die immer wieder neu heranrollt --- oh weh! Erinnere dich wenn du kannst; und wenn nicht,<br />
nun so fang wieder neu an.<br />
Ich schreibe dir ja immerzu Geburtstagsbriefe, jetzt schon den dritten. Ich komme nicht von der<br />
Zahl 30 los. Ich selber bin damals so darüber weggeglitten; erst jetzt wo ich sie in dir mit Augen<br />
sehe, wird sie mir zum Eckstein meiner Gedanken, und ich erfahre, was mir geschehen ist. Und da<br />
wunderst du dich, dass wir miteinander sprechen können. Es muss doch sein. Sogar wenn es sich<br />
nicht begreifen liesse, warum es sein kann, müsste es sein. Wahrhaftig!<br />
--------"N'est-ce pas?"<br />
August <strong>1918</strong><br />
Dein Franz.<br />
10.VIII.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, es ist doch schön, dir wieder zu schreiben. Noch ist es mir zwar neu; und durch das<br />
Gefühl, dass nur ich dir schreibe, nicht du mir, ist es etwas als ob der Brief an einer unsichtbaren<br />
Wand abprallte und wieder zurückflöge zu mir - und da ist ja nun auch ein <strong>Gritli</strong>, ein kleineres,<br />
leises, aber doch wirkliches <strong>Gritli</strong>; also er kommt schon an; es ist etwas wie in dem Schwank vom<br />
Wettlauf zwischen Has und Swinegel und du kannst auch rufen: "ik bün all do". Obwohl du das wohl<br />
kaum aussprechen könntest mit deiner basler Kehle.<br />
Am 9.IX. hat Mutter Geburtstag; ich weiss nicht, ob du es weisst; schreib ihr jedenfalls bitte;<br />
sie legt ja jetzt auf all so etwas mehr wert als früher, in ihrem grossen Schwäche= Verlassenheits=<br />
und Ungepanzertheitsgefühl. Sie denkt jetzt daran, jemand für fest ins Haus zu nehmen. Ich wüsste