Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 75 of 178<br />
darum kannst du so harmlos in dem "fremden Garten" sitzen, ohne dich daran zu stören, was dieser<br />
fremde Garten in der einen Welt bedeutet - wie es jeder Mann muss und - soll. Die Frau lädt die Last<br />
der Welt auf Gottes Schultern ab, der Mann die Last der Seele. So verschieden gerichtet sind ihre<br />
Harmlosigkeiten wie umgekehrt ihre Härme. Daher also kannst du, was <strong>Eugen</strong> nicht kann, <strong>Eugen</strong> als<br />
Christ nicht als "Judenchrist". Den Judenchristen erschreckt das Judentum ganz anders. Was dem<br />
Heidenchristen nie in Gedanken kommen kann, das muss den Judenchristen aufsteigen: die Berufung<br />
galt sie nicht auch dir? hast du nicht deine angeerbte Krone von dir geworfen? Und gegen diese<br />
Stimme, wenn sie in ihm laut wird, setzt er sich mit allen Mitteln der Selbstbehauptung, des<br />
Renegatenhasses, der Verzerrung u.s.w. zur Wehr. Du weisst, dass ich stets diese Gefahr für <strong>Eugen</strong><br />
gefürchtet habe und mich deshalb gehütet habe, ihm je einen Blick in das Judentum von innen zu<br />
gestatten (ich muss wieder sagen: genau wie bei Hans), was ich bei keinem "Heidenchristen" zu<br />
scheuen brauchte. Sondern ich habe ihm in jenem ganzen Briefwechsel damals und auch später das<br />
Judentum immer nur von aussen, als Gestalt, wie man es mit Augen sehen kann, also mit christlichen<br />
Augen sieht, gezeigt. Weisst du nicht mehr den merkwürdigen Eindruck, den du am 2.VII.17 in<br />
unserm Nachtgespräch hattest, wo du dich hinterher gradezu fragtest, wie ich so sprechen könnte und<br />
warum ich dann doch etwas andres sein wollte. Ich habe eben immer mit ihm so gesprochen. Es war<br />
ein richtiger Takt. Der Gespiele hat ihm nie vom Judentum "vorgeschwärmt". Erst durch dich, der<br />
ich freilich vorgeschwärmt habe, ist etwas davon zu ihm herübergedrungen, und nun siehst du die<br />
Wirkung, er verträgt das einfach nicht; er wird es auch nie vertragen; wird immer zu<br />
Gewaltsamkeiten der"Selbstbehauptung" dadurch herausgefordert werden. Es ist etwas Unlösbares:<br />
die Stimme spricht zu ihm, hat den, ich möchte sagen juristischen Anspruch auf ihn - das ist die<br />
Macht des "Geblüts" -, aber weil kein Funken von "Gemüt" je in ihm entzündet ist, so wehrt sich<br />
sein ganzes wirkliches Wesen gegen diesen dennoch nicht stumm zu kriegenden, aber ganz leeren x)<br />
Anspruch des Bluts. Das Recht ist unverjährbar, aber unfähig sich zu verwirklichen - und solche<br />
Rechte erregen Wut und Hass. Deshalb war ich immer sehr vorsichtig gegen ihn; er sollte nicht aus<br />
meinem Mund die Stimme hören, er sollte nur mit meinen dienenden Augen die Gestalt sehn. Er will<br />
in diesem Punkte - vielleicht am meisten in diesem - sehr zart behandelt werden. Es ist eine Wunde.<br />
Ich habe das, eben als Jude, instinktiv gewusst, du nicht. Darum damals mein Schrecken, als du<br />
sagtest, du müsstest ihm auch davon schreiben dürfen. Heut magst du es ruhig tun - denn nun weisst<br />
du wie es in ihm wirkt und wirst es von selbst richtig tun, nämlich zart. Er ist ja im eignen Hause und<br />
nirgends anders zuhause; alles andre sind Gespenster bloss, die nach ihm greifen. Dass er<br />
"Findelkind" ist, braucht ihn nicht zu irren, denn es giebt in diesem Hause nur Findelkinder:<br />
Christianus fit, non nascitur. Wiltfebers, des ewigen Deutschen, Blut ist noch viel ungeberdiger<br />
gegen den "unreinen" Krist aus Nazareth, als jüdisches Blut sein könnte. Nicht das "Geblüte",<br />
sondern das "Gemüte" kocht uns auf, wenn wir an ihn denken; das Geblüt brauchte nichts gegen den<br />
Davididen zu haben, aber das Gemüt sträubt sich gegen diesen Sohn Davids, der sich Gott<br />
gleichsetzte, weil es mit der kleinen Esther von dem Sohn Davids weiss, der noch "bei Gott" ist.<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, es tut mir gut,dir so lang zu schreiben wie gestern und heute; es trägt mich etwas<br />
weg über die Risse, die noch im Boden unter uns klaffen, verdeckt, überwachsen schon, aber noch<br />
nicht zugeschlossen. Lass dich übrigens nicht täuschen von Mutters kombinierendem Verstand; sie<br />
weiss meist "alles" aus den geringsten Andeutungen heraus; aber sie versteht gar nichts und wenn sie<br />
dicht dabei sitzt. Denk selbst, was sie verstehen kann: mehr als das hat sie auch nicht verstanden und