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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 136 of 178<br />

unbeeinflussten Volksabstimmung sein würde, einschliesslich der Entschädigungsmilliarden an<br />

Belgien und Frankreich, ausschliesslich des Wiederkriegens der Kolonien. - Solange hat man sich in<br />

den Sieg hineingedacht, dass einem die Niederlage noch etwas ganz Neues ist und ich mich erst<br />

einmal in die Konsequenzen hineindenken muss. Der Rest unsres Lebens wird nun in einem<br />

besiegten Volk verfliessen. Unser militärisches Gesiegthaben glaubt uns ja kein Mensch ausser uns<br />

selbst. Und wenn selbst -, Napoleons Feldzug von 1814 soll sein genialster gewesen sein. - -<br />

Heut ist es schon einen Monat her, dass ich die letzten Briefe geschrieben bekam oder morgen.<br />

Ich möchte doch bald wieder in das "Hin und Wieder" hinein, einerlei ob im Vorder= oder<br />

"Hinterland". Unser Zug ins "Hinterland" lässt noch auf sich warten. Mein Gewissen wird täglich<br />

schlechter; aber ich denke, bald wird ihm die hohe Behörde unter die Arme greifen und hier unter<br />

uns "sieben" - ich bin jetzt 12 Tage hier.<br />

Es ist wieder das Religionsgespräch um mich herum,- als Orchesterbegleitung zu dem in mir.<br />

Einer fragt "ja was ist denn der Glaube? und der Angeredete sagt: ja das ist eine sehr schwere Frage".<br />

Ich finde das gar nicht mehr.<br />

So klug wird man, wenn man ein System hat!.<br />

Dein Franz.<br />

12.10.[18]<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, es ist wieder spät geworden, und "spät" heisst: kümmerliche Beleuchtung. Ich habe<br />

den ganzen Tag über geschrieben, und bin noch nicht einmal zufrieden, es ist schwierig und unklar<br />

geworden; ich hätte es vielleicht nicht so überstürzen sollen, aber ich wollte bis zu einem<br />

bestimmten Punkt kommen. Es sieht übrigens so aus, als ob auch im II.Teil der "Stern" noch gar<br />

nicht beschrieben werden müsste, wahrscheinlich erst im "Übergang" von II zu III.<br />

Das andre ist die Politik. Sie hat mich seit Bethmanns Sturz nicht mehr so aufgeregt. Allmählich<br />

akklimatisiere ich mich an dies neue Klima eines besiegten Deutschland. Ich glaube übrigens, dass<br />

das Malheur hier unten nur die gern ergriffene Gelegenheit war, sich laudabiliter dem Papst in<br />

Washington zu subjicieren; zureichender Grund wäre es, für sich allein, nicht gewesen.<br />

Unamtlich wird verlautbart, unser Zug käme. Dann käme ich also doch vielleicht mit nach<br />

Deutschland.<br />

Frag mal <strong>Eugen</strong>, ob die Polen wirklich Gdansk kriegen? - Dazu übrigens ein Geschichtchen, das<br />

ich im Sommer in Warschau hörte. Deutsche Herren werden zwecks Kennenlernens in eine jüdische<br />

Schule in Praga, Warschaus Vorstadt auf dem rechten Weichselufer, geführt. Der Cicerone fragt<br />

nachher (zwecks Prüfung in weltlichen Wissenschaften) eine geografische Frage: grosse polnische<br />

Städte an der Weichsel. Worauf das gefragte Judenjüngelchen herausschmettert: "Praga, Warschau<br />

und Gdansk." - Es soll lange Gesichter gegeben haben. Wenn das in der jüdischen Volksschule<br />

passierte, -----

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