Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 140 of 178<br />
dachten wir, es könne nur zunehmen, nicht verschwinden, höchstens stehen bleiben, und über diese<br />
letzte Möglichkeit, über das möglicherweise Stehenbleiben bei Bismarck haben wir gejammert und<br />
Lamento geschrien wie über das Schlimmste. Und nun! - Ich schreibe dir morgen weiter. Grüss<br />
<strong>Eugen</strong>. Ich freue mich mit euch über Picht. Dazu musste ein Reich stürzen! Was ist der Mensch!<br />
Sei mir gut.<br />
Dein Franz.<br />
25.10.18<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, ich bin noch ganz verschlafen; in Marburg war ich aufgewacht und von da fuhrst du<br />
mit mir, ich las das Durchschlagbüchelchen und es war mir seltsam, mich wieder so verloren<br />
vorzustellen, so verloren und doch so geborgen und eingehüllt, ganz warm und weich, in deiner<br />
Liebe. O du liebe - du mehr als Seele, inniger und heimlicher, - du liebes Herz, - wie bin ich arm<br />
gegen dich, grade jetzt, wo ich mich so in andres ausgebe; ich kann gar nichts weiter als mich in<br />
deine Arme nehmen zu lassen, und "bei dir sein" und aus dem Reichtum deines Herzens trinken.<br />
Schenk mir davon, immer und immer, - du Immergeliebte.<br />
Was waren es für verworrene und schöne Stunden von vorgestern abend bis heute früh.<br />
Verworren auch, denn ich sah <strong>Eugen</strong> nun auch wieder als wäre es ein erstes Mal; ich glaube, ich sah<br />
ihn durch und durch; ich sah ihn viel mehr als dass ich mit ihm sprach; das unaufhörliche Sprechen<br />
war ja nur ein Versuch, dies Sehen zu verhüllen, nur ein grosses Geschwätz, in Wahrheit sah ich ihn<br />
immer nur an. Ich sah ihn doch, jene kurzen Stunden voriges Jahr am 2.VII abgerechnet, zum ersten<br />
Mal leibhaftig und wirklich neben dir, im gleichen Raum, das Sehen ist da etwas, was man sich nie<br />
vorher vorstellen kann, man muss es erfahren haben. Dich sah ich gar nicht an, bloss ihn, dich spürte<br />
ich bloss. Ich habe euch lieb. -<br />
Mit der Krankmeldung.<br />
Oktober 3 <strong>1918</strong><br />
28.X.18<br />
Liebes Herz, ich kann dir noch gar nicht wieder schreiben, nur immerfort an dich denken. <strong>Gritli</strong>,<br />
<strong>Gritli</strong> - was sind alle Worte nach diesem Tag= und Nachttraum gemeinsamen Lebens, den wir<br />
träumen durften, ohne den Traum mit dem Erwachen zu büssen; denn ich bin noch nicht erwacht und<br />
ich wollte, es bliebe so und nur das nie verlorene Gefühl, dass es ein Traum war, schiede Traum und<br />
Leben. Lieber Traum und liebes Leben du, entflieh mir nicht, bleib!<br />
Was sind Worte - ich muss dir einen rechten Nachrichtenbrief schreiben; nur zur Nachricht taugt<br />
das Wort, und sonst nur das Schweigen. Eben war ich bei Herrn Mündel, und nach allerlei<br />
Umständen kriegte ich ihn auch zum Diktat bereit; er schreibt nämlich ungern nach Diktat, und<br />
zunächst wollen wir es so versuchen, dass er das Unreine abschreibt und ich bin dabei und springe<br />
bei unleserlichen Stellen helfend ein; geht das, so ist es mir natürlich am liebsten so, ich könnte dann