Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 121 of 178<br />
Ich habe wirklich angefangen I 1 auf dein Papier abzuschreiben. Es geht mit pensenhafter<br />
Regelmässigkeit täglich weiter. Bald werd ich hören, dass du davon weisst. Ich hatte gut <strong>Eugen</strong><br />
predigen, dass wir nicht mehr für die Freunde schreiben dürfen. Nun verlange ich doch nach der<br />
Teilnahme der "Freunde" und denke kaum an die "Schüler", so sehr schreibe ichs nur für mich. Was<br />
soll das werden?<br />
Liebes ganzes <strong>Gritli</strong> -<br />
12.9.[18]<br />
dein ganzer Franz.<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, ich darf nach Üsküb, ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben. Morgen Abend gehe<br />
ich fort, wenn bis dahin nichts dazwischen kommt. Ich bin von der Abschreiberei ganz verdrallt.<br />
Zum Lesen komme ich jetzt überhaupt nur ganz wenig, ausser den Zeitungen noch so etwa eine<br />
Stunde am Tag. Ich bin immer noch an den Rohdeschen Briefen; ihr müsst sie aber auch lesen, ich<br />
lese sie immer langsamer und respektvoller. Der jüngere zwar ist erst eben flügge geworden, noch<br />
jeder Zoll ein Wandervogel; seine Geistigkeit erschöpft sich in den "beiden Abstinenzen". Dagegen<br />
der andre ist Mitte 20 und eigentlich schon ausgewachsen. Er hat etwas sehr hochmütig geistiges und<br />
- nur z.B. er liest Bahrs "Himmelfahrt" und sagt über Bahrs Katholisieren: "an seiner Volksreligion<br />
kann er natürlich nicht vorbei" (womit er ja Bahr vielleicht weniger Unrecht tut als seiner<br />
"Volksreligion"). Aber er ist doch ein Christ, eben einer nach Fichteschem Schema, und in den<br />
Grenzen dieses Schemas wird er im Krieg immer lebendiger. Manchmal sah ich mich trotz allen<br />
Abstands wie im Spiegel, zwar nicht Gegenwärtiges, aber Vergangenes. Nämlich den Akademikus.<br />
Obwohl ihm das Akademische scheinbar (es fehlen leider die Vorkriegsbriefe bis auf wenige) der<br />
grade und natürliche Weg gewesen ist, mir immer nur ein verwundertes, und anfangs sogar<br />
verzweifeltes, Experiment. Aber weil ich das Experiment, nachdem ichs mal begonnen hatte, nun<br />
auch mit Verve durchführte und tat als ob ich zuhause wäre, so gab es ähnliche Erscheinungen wie<br />
bei ihm. - Dass er glänzende Beobachtungen über Kameraden und Vorgesetzte macht - an den<br />
pikantesten Stellen leider Zensurlücken - versteht sich.<br />
Ich werde gerufen, einen abzulösen. Ist das nicht sehr komisch?<br />
Dein Franz.<br />
Die Rohdebriefe kriegt ihr von Kassel.<br />
14. und 15.9.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, ich bin unterwegs nach Üsküb. Heut ist I 2 fertig geworden. Es geht mit so<br />
pensenhafter Regelmässigkeit, dass ich jetzt das Gefühl habe, als stünde der I.Teil schon ganz auf<br />
dem Papier und wirklich wird es ja in diesem Monat noch soweit kommen, wenn nichts dazwischen<br />
kommt. Nun eine Bitte: in einem Brief, ob nach Säckingen oder Kassel weiss ich nicht und zwar im<br />
Anschluss an ein Jubelgebrüll darüber, dass ich liberal sei, schrieb ich dir ein paar Sätze über<br />
Liberale und Orthodoxe, auf die ich mich gar nicht mehr besinnen kann; ich habe sie aber als sehr