Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 126 of 178<br />
Ich schreibe an dem kleinen Übergangskapitel; unwillkürlich stehen mir dabei <strong>Eugen</strong>s<br />
Einwendungen vor Augen; erst hier können sie erledigt werden, frühestens. - Überhaupt mache ich<br />
mir doch alle Einwendungen zu nutze, auch wenn ich sie erst ablehne; so die terminologischen zu<br />
"Seele" und "Leib". - Einen Schub Rudischer Predigten bekam ich grade noch mit der letzten Post; es<br />
waren 4, die er seinerzeit, im Februar, nach Kassel geschickt hatte; ich habe erst eine wieder gelesen;<br />
es ist ja ganz unmöglich, sie mit "ernstem Fleiss" zu lesen; man muss sich auftun und warten. Ich<br />
lese allerdings nie mit ernstem Fleiss, sondern entweder mit frechem Leichtsinn oder mit<br />
stumpfsinnigem Fleiss - in beiden Fällen also mit Vertrauen und mit abgelegten Waffen. Ich kann ja<br />
die Waffen später wieder aufnehmen, wenn ich gelesen habe; während des Lesens können sie mich<br />
nur hindern. - Es ist mir gar nicht so, als ob der Brieffaden zwischen uns wieder zerrissen wäre, wie<br />
ers doch ist. Ich weiss nicht, aber mir ist, als schriebe ich dir in der gleichen Stadt nur von einer<br />
Strasse in die andre, und heut Abend käme ich herüber zu euch nach Tisch.<br />
Euer Franz und Dein Franz.<br />
3.10.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, was sagst du eigentlich zu diesem kuriosen linierten Papier? ich hatte einen ganzen<br />
Block gemischten Papiers in Gradsko gekauft, kurz ehe die Franzosen dahin kamen (nämlich auf<br />
meiner Üsküber Reise) und ihn dann im Tornister mitgeführt. Auch der * d. Erl. wird von I 3 ab auf<br />
dies Papier wenigsten ins Unreine geschrieben. - Von den deutschen Ereignissen kriege ich hier nur<br />
den Wiederhall der brillant geschriebenen öst.= ung. Zeitungen, der Wiener fr. Presse, des Pester<br />
Loyd, und eines kleinen Gassenblättchens des Pester "Polit. Volksblatts". Das ist weniger als ich<br />
möchte.<br />
<strong>Eugen</strong> brennt sicher lichterloh a)überhaupt und b)als "Privatdozent des Staatsrechts". Ich selber<br />
bringe nicht den "nötigen Ernst" dafür auf (mit meinen alten Schullehrern zu reden); ich muss nur<br />
lachen, wenn ich sehe wie krampfhaft sich die Monarchen an ihre wackelnden Trone klammern.<br />
Warum soll ich ehrfürchtige Schauer vor dem Sanctuarium der Monarchie verspüren, wenn die<br />
Monarchen selbst so gar nichts davon verspüren (und um so mehr gut bourgeoise Angst, ganz als ob<br />
die Krone nichts wäre als ein geldwerter Titel, den man in der Kassette eines feuersicheren<br />
Geldschranks aufbewahrt.<br />
Ich finde diesen Ruck nach links, dieses beflissene Abladen der Verantwortung im Augenblick<br />
wo es schief geht nur blamabel. Er hätte Ludendorf zum Kanzler machen sollen, jetzt, jetzt grade.<br />
Dass wir pazifizistische Ministerien schaffen während in Engl. u. Frkr. noch die Clemenceau u. Loyd<br />
George oben sitzen, ist nur lächerlich und blamabel. Ausgenommen, wenn es den Erfolg hätte,<br />
England u. Frkr. zu revolutionieren - aber sollten wir im Ernst eine so boschewistische Logik haben?<br />
die Bolschewiki selbst hatten kein Glück mit dieser Berechnung. - Ganz sachlich freue ich mich ja<br />
selbstverständlich doch über die Verlinksung, aber aber - Bethmann wahrte bei solchen Schritten<br />
immer noch das Gesicht der Hohenzollern; diesmal geschieht es ganz würdelos und aller<br />
Demokratismus kann mir das Bedauern über diesen Fall einer nobeln Tradition nicht aufwiegen.<br />
Schon seine Coriolanreise nach Essen, wo er beim stinkenden Pöbel herumging und so tat als ob,<br />
war mir peinlich bis zum selber rot werden. Es giebt keine Könige mehr. Deutschland ist reif zur