Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy
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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 5 of 178<br />
Liebes Tröpfchen, wenn - und wenn - und wenn - Ich bin viel mehr als ich gedacht hätte voll von<br />
Unerzähltem und Ungesagtem, und vielleicht jetzt nie mehr Gesagtem. Als ich gestern Mittag in<br />
Dresden in der Droschke aus meiner allgemeinen Verduseltheit aufzuwachen versuchte und von<br />
Trudchens Schokolade essen wollte, lag ein Blatt von ihr darin, das wie ein Trompetenstoss in<br />
meinen Schlaf hineinfuhr, denn es stand das Wort darin, das einzige vielleicht, das mir in diesen<br />
Tagen - wie lange noch? - ganz unanhörbar ist: Unsterblichkeit. Denn ich bebe an allen Gliedern vor<br />
lauter Sterblichkeit. Hilf du mir, wenn du es kannst. - Ich küsse dich auf deinen blassen brennenden<br />
Mund - nein aber auf deine Finger und vornehmlich auf den einen, und spüre deine Hand auf meiner<br />
Stirn, auf der "steilen umdüsterten". - Ich schreibe ihm noch selbst. Dein<br />
Franz.<br />
3.III.[18]<br />
Liebes <strong>Gritli</strong>, gesegnet die diversen Erfinder des Worts der Schrift des Bleistifts und der Feldpost<br />
- als ich gestern geschrieben hatte fing ich an mich wieder zurechtzufinden - ist nicht die Welt noch<br />
übrig, wie der Mensch unsres grossen Hasses und unsrer noch grössern Liebe sagt. Die Welt zwar<br />
noch nicht gleich die simpliciusische, aber immerhin doch schon die des Cohenschen Closettpapiers.<br />
Es war sogar ein ganz wunderbares Kapitel und mir sehr gesund. Gleich auf dem ersten Blatt stand:<br />
die Menschen sehen ins Auge, Gott ins Herz. Es war so nebenher gesagt, aber in diesem Umweg<br />
liegt alles. Ich kann ihn noch nicht abschneiden und du auch nicht. Wir sehen uns durchs Auge ins<br />
Herz. Liebes <strong>Gritli</strong> sieh!<br />
Ich habe dich lieb.<br />
4.III.[18]<br />
Ich bin noch immer nicht wieder zur allgemeinen Menschenliebe fähig und sehe die Soldaten an<br />
als ob es Haustiere wären, noch nichtmal Tiere im Zoo (was sie doch sind). Ich habe den ganzen Tag<br />
in mich <strong>Eugen</strong> und dich hineingestarrt, und <strong>Eugen</strong>s Wort von den Klangfiguren (aus dem grossen<br />
Gedicht) hat mich nicht losgelassen - ohne dass ich es verstand. Wir sind eben keine Klangfiguren,<br />
keine reinen Klänge. Was sind wir denn? Weiss ich's und will es mir bloss nicht sagen?? - Animula,<br />
ich ärgere mich, dass ich noch kein Wort von dir habe und dabei ist es ja natürlich ganz unmöglich<br />
und ich weiss ja, dass du mir schreibst wie ich dir.<br />
Ich denke an dich.<br />
5.III.[18]<br />
Armes <strong>Gritli</strong>, ich glaube ich schreibe dir immer wenn mir besonders jämmerlich zu mute ist.<br />
Nimms nicht zu schwer - die Kruste wird schon wieder wachsen; diese zwei Monate Kriegslosigkeit<br />
waren zu viel. Und doch nicht zu viel. Und nun kommst du gar selbst, mit Buch, Handschuhen und<br />
beiden Briefen. Zwei so "erledigten"Briefen! Alles - sogar dem kleinen Georg sein "Gutes". Auch<br />
die Handschuhe sind ja nun erledigt; man wünscht sich ordentlich einen Winterfeldzug, um sie mit<br />
Genuss zu verbrauchen. Nur der Santo hängt noch unentladen am Himmel; hoffentlich reicht mein