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Gritli Letters - 1918 - Eugen Rosenstock-Huessy

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<strong>Gritli</strong> <strong>Letters</strong> - <strong>1918</strong> 118 of 178<br />

Wie anti = naturphilosophisch bist du geworden. Ich spüre es wieder an dem<br />

Entdeckerschwung mit dem du den Gegensatz geistig = geistlich behandelst (wie neulich an<br />

...[Zeichnung Sonne Mond und Sterne]). Sind wir etwa dabei, uns "gründlich zu verlernen", du<br />

dich, ich mich, indem du mir meinen altgedienten Religions = , ich dir deinen alten Naturbegriff<br />

"ausführst". Fast kommt es mir so vor.<br />

Ich komme heute glaube ich nicht mehr dazu <strong>Gritli</strong> zu schreiben. Grüsse sie.<br />

Dein Franz<br />

10.9.18.<br />

Liebes <strong>Gritli</strong>, siehst du, ich hatte recht, weiter nach Kassel zu schreiben; das sind so Vorgefühle.<br />

An Wildungen hatte meine Seele nicht gedacht; aber ich bin, trotz der fehlenden "Berge", froh dass<br />

ihr dort seid; in Tölz sind zwar die Berge schöner aber die Männer nicht. Und dass ihr nun gar<br />

gestern vielleicht bei Mutter wart, ist doch sehr gut. Weizsäcker ist freilich fein geworden; ich bin ja<br />

auch meine frühere sehr kritische Stellung zu ihm im vorigen Winter ganz los geworden - bis auf den<br />

kleinen Rest: dass ich ihn nicht unbedingt für sicher vor Rückfällen oder vielmehr vor einem<br />

vollkommenen e gratia excidere, einem Wieder = Herauspurzeln aus dem "Gnadenstand" halte. Er<br />

wird entweder gar nicht oder sehr gewählt heiraten müssen, wenn er von dieser Gefahr frei werden<br />

soll. Grade die Qualitäten , die ihn tragen, hängen ihm auch als ein herabziehendes Gewicht an; ich<br />

meine die ganzen Masse, die sich in dem würtembergischen Drittgenerations(!) = Nobilityzeichen,<br />

das du immer so andächtig vor den Namen malst, symbolisiert. Weizsäcker ist das eine deutsche<br />

Extrem, das (scheinbar) "zugeknöpfte", Typ Goethe. Die Zugeknöpftheit ist ja wirklich nur ebenso<br />

Schein, wie die Aufgeknöpftheit des andern, des Schillertyps. Das ist der grosse Wert der<br />

Steffensschen Neujahrhundertnachtanekdote, die ich immer erzähle (wo der Champagner so<br />

verschieden auf die beiden wirkte: Goethe wird immer fideler, Schiller immer pedantischer). Da<br />

sieht man das bloss Scheinbare. - Und da ich grade bei den deutschen Typen bin, - sollte ich dir<br />

wirklich nie von Kähler erzählt haben? Von Baden = Baden habe ich dir sicher erzählt und dir<br />

allerlei Dokumente davon gezeigt. Und damals und dadurch kam doch der Bruch mit Kähler zum<br />

Schluss. Übrigens habe ich seit Jahren schon den Bruch nicht mehr für ein letztes Wort gehalten und<br />

rede mir ein, einmal wieder mit ihm zusammenzukommen. Weil eben die Rassenantipathie doch<br />

unmöglich ein letztes Wort sein kann, und nichts andres war es bei ihm. Vielleicht, trotz der<br />

gänzlichen Verschiedenheit der beiden "Arier" etwas entfernt Ähnliches wie bei <strong>Eugen</strong> und W.P.,<br />

nur dass ich viel unbefangener massiver und unzarter (um nicht zu sagen: taktloser) auf ihn eindrang<br />

als <strong>Eugen</strong> auf W.P. - So hatte er von Anfang an etwas Angstgefühle vor mir, als müsste er sich<br />

wehren. - Ich habe nicht die epische Breite, um dir schriftlich alles zu erzählen, wie es kam - und<br />

ging. Das Ende hat mich dann sehr geschlagen, nicht mein Gewissen (das Gefühl, sich und sein<br />

Verhalten rechtfertigen zu müssen, war auf Kählers Seite; ich habe nie ein Bedürfnis gehabt davon<br />

zu sprechen), aber meine Fähigkeit zum Glauben an Menschen. Die abergläubische Scheu vor dem<br />

"Du", die <strong>Eugen</strong> so lange hat ausbaden müssen, stammte noch von da her; insofern kann ich sagen,<br />

dass die Wunde erst da zugeheilt ist. Durch das Ende mit Kähler wurde ich dann unmittelbar frei<br />

zum Anfang mit Rudi - Sommer 1910 -, und so hat das Böse sein Gutes gehabt -. Sollte ich dir denn<br />

das wirklich noch nie erzählt haben?

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